Sinnlose Versprechen von Pansy ================================================================================ Kapitel 3: - 3 - ---------------- - 3 - Völlig desinteressiert blickte Jason auf den Fernseher. Seit Lance gegangen war, hatte er nichts anderes getan als stumm auf dem Bett zu liegen und auf den Bildschirm zu starren. An sich war er es wahrlich Leid derart demotiviert in der Gegend herumzulungern, doch sein Freund hatte ihn mit seinem prompten Abschied ganz schön aus der Bahn geworfen. Gerade als sie sich endlich wieder innig geküsst hatten, hatte er den Abflug gemacht. Seufzend boxte er mit einer Faust neben sich auf die Bettdecke, die lediglich ein leises Knistern von sich gab. Gut ein Jahr kannten sie sich und seit zehn Monaten waren sie ein Paar. Doch so ein angespanntes Verhältnis hatte bisher nie zwischen ihnen geherrscht. Und Jason, obgleich er nur erahnen konnte, weshalb Lance derart auf seine Kandidatur reagierte, wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, oder gerade deshalb nicht. Er brauchte Lance nicht noch einmal nach dem Grund fragen, denn er hatte kapiert, dass er keine zufrieden stellende Antwort erhalten würde. Egal, wie lieb er darum bitten würde oder ob er ihn gewaltsam an die Wand drücken würde, um es aus ihm herauszuquetschen. So eigensinnig wie der Schwarzhaarige war, würde er sich allenfalls die Zähne ausbeißen, aber keinesfalls mehr Informationen bekommen, die ein wenig Licht ins Dunkel brächten. Er schmiss die Fernbedienung neben sich und schloss die Augen, die Geräusche des Fernsehers kaum wahrnehmend. Zu genau konnte er ihre erste Begegnung sehen. Das recht kantige Gesicht, die dunklen Iriden, die ihn förmlich aufspießten. Während er mit einem Kumpel in einer Bar gesessen hatte, hatte er jedes Mal, wenn er aufblickte, Lance im Visier gehabt. Und dieser ihn. Und doch hatten sie an diesem Abend kein Wort miteinander gewechselt gehabt. Jason legte sich einen Arm über die Augen. Fast acht Wochen waren vergangen, ehe sie sich erneut gesehen hatten. „Und das hatte hier geendet“, murmelte er vor sich hin, konnte aber ein weiteres Seufzen nicht unterdrücken. Wenige Tage nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht, die zugleich ihr erster körperlicher und auch sonstiger zwischenmenschlicher Kontakt gewesen war, war er zu Lance in die Wohnung gezogen. Wenn er darüber nachdachte, dann konnte er mit Recht behaupten, dass das viel zu übereilt gewesen war, doch bis jetzt hatte er diese seine Entscheidung nicht bereut. Und er wollte sie auch weiterhin nicht bereuen, entgegen aller Zweifel, die ihn gerade plagten. Er fragte sich, wie ihre Beziehung aussehen würde, wenn der Wahlkampf erst so richtig begonnen hatte, respektive wenn er wirklich Bürgermeister würde. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen. In diesem Falle wollte er die Zukunft nicht voraussehen können! Als sein Handy zu klingeln begann, mühte er sich ein wenig auf und griff sich in die Hosentasche. „Ja?“, fragte er in das Gerät hinein. „Vergiss’ nicht, pünktlich zu sein.“ Jason begann zu lächeln. „Habe ich nicht gesagt, dass ich sogar vor dir dort sein werde?“ Unweigerlich bekam er mit, wie Holly versuchte nicht zu lachen. Denn ihre unregelmäßigen Atemstöße waren absolut nicht zu überhören. „Hast wohl wieder ein Gläschen Rotwein zu viel getrunken?“, meinte er dann scherzhaft. Doch er wusste, dass sie das ab und an tat, ihn anschließend anrief und bei keinem Satz mehr wirklich ernst sein konnte. „Wo denkst du denn hin?“, kam es zuckersüß zurück. „Am besten, du gehst jetzt ins Bett“, sagte er einfühlsam. „Sonst bist du noch diejenige, die morgen verschläft“, fügte er dann dennoch grinsend an, was sie zwar nicht hören, aber an seiner Stimme überdeutlich vernehmen konnte – sofern dies ihr Zustand zuließ. „Gib’s zu, du willst nur wieder allein mit Lance sein. Sitzt er gerade neben dir oder eher auf dir?“ Nun begann sie schallend zu lachen. Jason war sich spätestens jetzt sicher, dass sie wirklich ziemlich angeheitert war. Aber ihre Sätze trafen ihn dennoch mitten ins Herz. Sie konnte nicht erahnen, wie es zwischen ihm und Lance stand, weshalb er nicht sauer werden durfte, trotz allem war er es. „Er ist nicht da“, zischte er. Als er selber registrierte, wie scharf er das von sich gegeben hatte, war es zu spät. Er spürte förmlich die Stimmung in der Leitung gefrieren. „Ich erklär es dir morgen, Holly. In Ordnung?“, fügte er einigermaßen ruhig an. Aber sie ließ sich nicht so einfach abspeisen. Es lag noch nie in ihrem Naturell, still zu sein, selbst wenn es angebracht wäre. „Nein ist es nicht“, kam es erhitzt zurück. „Seit wann gebe ich mich denn damit zufrieden, dass du mich wie ein kleines Kind behandelst und mich mir nichts dir nichts aus der Leitung werfen möchtest?“ Laut atmete Jason aus. Nun noch einen Streit mit der besten Freundin zu haben, würde ihn nur noch mehr bedrücken. „Shhh, Holly. Schon gut, ich will dich ja gar nicht abwimmeln.“ Er hatte es zwar ernsthaft vorgehabt, doch nun musste er wohl gezwungenermaßen anders handeln. Als er ein Schnauben ihrerseits vernahm, sank sein Kopf kurz auf seine Brust, ehe er einen Punkt auf der gegenüberliegenden Wand fokussierte. „Lance hatte noch einen Termin.“ Das war die Wahrheit, wenngleich er sie beschönigte. Jetzt hatte er nur noch zu hoffen, dass sie nicht weiter nachbohrte. „Armer Kerl. Ein paar Stunden ohne ihn müssen die Hölle für dich sein.“ Ihre Worte trieften nur so vor Sarkasmus. Doch anstatt wütend zu werden, verdrehte Jason nur die Augen. Irgendwie mochte er diese Frau aufgrund ihrer spitzen Zunge. Sie ließ sich eben nicht so schnell bezichtigen. Und das bildete den besonderen Reiz an ihr. „Wart’ nur ab, bis du wieder in einer Beziehung steckst. Aber daran will ich lieber nicht denken.“ Wider Erwarten musste er schmunzeln. Schon die Vorstellung, wie sie ihren Freund triezte und herumscheuchte, löste in ihm Amüsement aus. Dazu brauchte er das nicht einmal live sehen, denn das hatte er bereits einige Male gedurft. Und irgendwie konnte er davon immer noch zehren, worüber er gerade sehr dankbar war. „Bis dahin muss ich euch Turteltäubchen wohl weiterhin auf die Nerven gehen.“ „Halt, Holly!“, entwich ihm, als er hörte, wie sie einen kräftigen Schluck irgendeiner Flüssigkeit zu sich nahm. Wenngleich er die Flasche – er war überzeugt, dass es sich um eine handelte – nicht sehen konnte, glaubte er an Hochprozentiges. „Sonst lässt du mich morgen noch auf dich warten.“ Er wollte gelassen und eher neckisch klingen, aber er wusste nicht, ob er das tatsächlich tat. „Dann gönne ich dir nun lieber deinen Schönheitsschlaf.“ „Danke, die Dame. Treib’s nicht mehr zu bunt, ja?“ „Jawohl, Sir.“ „Das wollte ich hören.“ Es klickte und Jason zwinkerte mit seinen Lidern. Er konnte nicht recht einordnen, ob Holly nur Spaß gemacht hatte oder etwas Ernsteres dahinter gesteckt hatte. Obgleich er ihre ungewöhnlichen Anrufe kannte und schon des Öfteren miterlebt hatte, war es dieses Mal anders verlaufen. Zumindest hatte er das Gefühl. Doch er zuckte irgendwann mit den Schultern. „Sie weiß schon, was sie tut“, brummte er vor sich hin. Anschließend vernahm er totale Stille. Den Fernseher hatte er auf stumm geschalten, während er mit Holly telefoniert hatte. Es war fast Mitternacht und Lance war immer noch nicht zurückgekehrt. Jason hatte nicht die leiseste Ahnung, wohin er gegangen war. Zwar erstatteten sie dem anderen nicht über jede Einzelheit, die sie unternahmen, Bericht, aber es belastete ihn dennoch, dass sein Freund diesmal einfach verschwunden war. Insbesondere die Art und Weise, wie er gegangen war, ließ ihn verzagen. Etwa drei Stunden später wachte Jason auf – ihm kam es vor, als ob er eben erst eingeschlafen wäre-, als sich Lance neben ihn legte. „Wo warst du?“, fragte er noch völlig benommen, drehte sich nicht einmal zu ihm um. „Weg.“ „Ha ha. Das hätte ich jetzt nicht gewusst.“ Grummelnd stieß er die Luft aus, die er vorher scharf eingesogen hatte. Der Schwarzhaarige legte einen Arm um Jasons Taille und zog ihn nah an seinen Körper heran. „Schlaf weiter, Süßer.“ Obwohl dem Blondschopf nicht danach war, sagte er nichts mehr. Eigentlich empfand er die Wärme, die der andere ihm versetzte, als grotesk. Waren ihre Gespräche im Gegenzug nicht eher unterkühlt und gezwungen? Und doch konnte er die betörende Nähe nichts weiter als genießen, wofür er sich selbst schalt. Manchmal kam er sich in den Lance’ Armen so verdammt hilflos vor. Als ob er den Halt bräuchte, um nicht irgendwo im schwarzen Nichts verloren zu gehen. „Warum lachst du vor dich hin?“, hauchte Lance ihm ins Ohr. ’Weil ich mich wie ein Kleinkind benehme’, hätte er antworten können, verschränkte stattdessen aber seine Finger mit denen seines Freundes. Lange lagen sie einvernehmlich aneinander. Man hätte meinen können, zwischen ihnen herrschte die reinste Eintracht. Doch im Gegensatz zu Lance, von dem bisweilen ein gleichmäßiges stetiges Atmen ausging, konnte Jason kein Auge mehr schließen. Bis zum Morgengrauen dachte er darüber nach, wie es wohl weiter gehen würde. Ob sich die Lage zwischen ihnen entspannen würde, auch wenn er weiterhin an seinem Vorhaben festhielte. Der laute Piepston des kleinen, dunkelblauen Weckers ließ ihn abrupt hochfahren, wobei er Lance ungewollt einen Kinnhaken verpasste. Ein Knurren ließ ihn schuldbewusst den Kopf drehen. „Sorry“, säuselte er in Lance’ Ohr und stand gleich danach auf. Der Schwarzhaarige winkte nur ab, machte sich nicht einmal die Mühe, das Blau seiner Augen preiszugeben. Für einen Moment hielt Jason in allem inne und starrte hinunter auf seinen Freund. Abwesend leckte er sich über die Lippen und konnte das helle Braun seiner Iriden nichts als auf den stählernen Körper vor ihm heften. „Fertig?“, fragte Lance und riss mit einem Mal seine Lider auf. Erschrocken taumelte der Blondschopf einen Schritt zurück, fühlte sich vollkommen ertappt. „Ich… bin schon weg“, stammelte er mit roten Wangen. Im Bad sah er zu allererst in den Spiegel. Doch was er dort erblickte, gefiel ihm weniger. Dieser verlegene Teint, dieser fiebrige Glanz hervorgerufen aus lauter Peinlichkeit… Wild schüttelte er sein Haupt. In Lance’ Gegenwart mutierte er in der Tat zu einer hirnlosen Gestalt. Dabei hatte er den Augenblick der reinsten Harmonie doch einfach nur auskosten wollen. Mit aufeinander gepressten Lippen löste er sich von seinem Abbild und stieg unter die Dusche. Das heiße, rinnende Wasser war wie eh und je eine Genugtuung, sowohl für seinen Körper als auch für seine Psyche. Doch er stellte es vorsichtshalber früher als gewohnt ab, nicht dass Lance wieder auf die Idee kam, ihn auf irgendeine dumme Weise erziehen zu wollen. Dabei teilten sie sich die Miete, was den Schwarzhaarigen dennoch nicht daran störte, ihn immer mal wieder disziplinieren zu wollen. Bevor er das Haus verließ, frühstückte er ausgiebig. Seiner Meinung nach konnte man eben nur mit gestilltem Magen vernünftig arbeiten, auch wenn das an diesem Tag lediglich durch die Stadt laufen bedeutete. Nachdem er sich den letzten Schluck Kaffee einverleibt hatte, sah er aber zu, zu gehen. Schließlich hatte er immer noch vor, vor Holly bei Kurrauns anzukommen, denn er konnte ihr einfach nicht den Triumph gönnen; sie würde ihn ohnehin diesbezüglich nur wieder aufziehen. Und durch den unangenehmen Zwischenfall von vorhin war ihm selbst nach ein wenig Überlegenheitsgefühl. Schwer atmend blieb er vor der Druckerei stehen. Auf die letzten Meter hatte er einen Sprint eingelegt, um sich seine Chance nicht eigenständig zu verwehren. Von Holly war weit und breit noch nichts zu sehen, was ein filmreifes Lächeln auf seine Lippen rief. „Du solltest allmählich über dein Alter nachdenken“, meinte er wenige Minuten später an seine Freundin gewandt, die ein wenig blass war und ihn anfunkelte. „Pass’ auf, dass du nicht eher Falten bekommst als ich.“ „So viele Jahre kann ich gar nicht aufholen.“ „Wenn man vom früheren Sterben der Männer auf die Geschwindigkeit ihres Alterns Rückschlüsse ziehen darf, dann lautet die Antwort: doch!“ Mit zwei Fingern knuffte sie ihm in die Seite. „Tja, ich würde sagen, Pech gehabt.“ „Sind wir nicht wegen der Plakate hier?“ Er lief bereits gen Eingang. „Ja ja, männliche Ehre, ich weiß“, erwiderte sie und betrat noch vor ihm das Gebäude. Schon beim Eintreten kroch einem die Druckerschwärze in die Nase. Aber irgendwie mochte Jason den Geruch und das Ambiente bei Kurrauns. „Hallo, meine Hübsche“, kam ein groß gewachsener Mann sofort auf Holly zugeeilt und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass das so schnell geklappt hat.“ Sie zwinkerte ihm zu und lächelte. „Für meine Lieblingsjournalistin doch immer.“ „Hi, Eddy“, meinte Jason und reichte ihm die Hand. Er hörte immer geflissentlich weg, wenn sich die beiden miteinander unterhielten, was ohnehin meistens in einem überschwänglichen Flirt endete. Doch Holly beteuerte immer von neuem, dass er als potentieller Partner nicht in Frage käme. „Während ich die Plakate hole, könnt ihr euch überlegen, ob ihr meine Dienste noch anderweitig benötigt.“ Als Eddy hinter der nächsten Tür verschwand, blickte Jason fragend zu Holly. „Die Liste mit meinen Zielen – und ich betone: keine Wahlversprechen! - habe ich bereits abgegeben. Denkst du, er meint etwas Bestimmtes?“ „Er möchte nur höflich sein“, zuckte sie mit den Schultern. „Jason, verrate mir mal, warum ich noch nicht verheiratet bin.“ Seine Gesichtszüge entglitten ihm vollkommen. „Was?“, rutschte ihm heraus. Wie konnte man nur so plötzlich solch einen Themenwechsel vollbringen? Nach den ersten Sekunden völliger Besinnungslosigkeit kam ihm ihr Telefonat vom Vorabend in den Sinn. Also hatte er doch mit seiner Vermutung Recht gehabt, dass etwas nicht gestimmt hatte. Behutsam legte er eine Hand auf ihre Schulter und wollte zum Sprechen ansetzen, doch da wand sie sich ihm zu und grinste. „Vergiss’ die Frage gleich wieder. Manchmal neige ich zu überflüssiger Sentimentalität, aber die vergeht so schnell wie sie kommt auch wieder.“ „Ähm…“ Zu mehr kam er nicht, denn Eddy tauchte auf und redete bereits auf sie beide ein, obgleich er die Tür nicht einmal hinter sich geschlossen hatte. „Ich habe nicht nur die geforderten 40 Stück gedruckt, sondern 50. Die zusätzlichen gehen aufs Haus. Schließlich möchte ich die Gesichter meiner Mitmenschen sehen, wenn du gewählt wirst, Jason. Das ist aber auch mal was.“ Bedächtig drehte er seinen Kopf von einer Seite zur anderen. „So wie ich die Leute hier einschätze, wird dich das Ganze viel Nerven kosten. Aber wer es mit Holly aushält, für den dürfte das kein Problem darstellen.“ Dass er sich damit einen vielsagenden Blick einfing, ignorierte er gekonnt. „Also, kann ich sonst noch was für euch tun?“ „Nicht das ich wüsste“, erwiderte Jason und nahm die Plakate bereitwillig entgegen, die ihm gereicht wurden. „Ich würde dich gerne noch in Anspruch nehmen“, meinte Holly abwesend, legte gleichzeitig eine Hand auf Jasons Arm und drückte ihn beiseite. „Während du die ersten Zettel an die Bars und so weiter verteilst, werde ich noch etwas mit Eddy besprechen.“ Erneut war der Blondschopf irritiert. „Gut, dann… die Liste?“ Sie kramte in ihrer Tasche und zog das weiße Papier hervor. „Du weißt“, begann sie und sah ihn fest an, „ein herzerweichender Augenaufschlag bewirkt vieles.“ Unweigerlich musste er lachen. „Ich dachte, mein Versuch gestern hätte abschreckend genug gewirkt.“ „Dann sage ihnen eben, dass dich die hübsche Brünette von gestern schickt.“ „Oder versuch’s mit der Wahrheit“, meldete sich Eddy zu Wort. „Sag’ ihnen, dass du die alten Säcke satt hast, die sich auf den bequemen Stühlen nur den Hintern wund sitzen.“ „Ich glaube, ich bleibe mir lieber selbst treu“, schmunzelte Jason. „Bis später, Holly. Mach’s gut, Eddy.“ „Zeig’s ihnen!“, rief ihm Eddy noch hinterher. Jason hatte keinen blassen Schimmer, was Holly von dem Drucker wollte, aber er zuckte darüber nur die Achseln. Vielleicht hat sie ja doch eingesehen, dass sie zusammen passen würden. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, eine Tasche voller frisch gedruckter Plakate über den Schultern machte er sich auf den Weg. Der Tag schien freundlich zu werden, denn die ersten Sonnenstrahlen erhellten die Dächer von Asht-Zero. Der Frühling streckte von Tag zu Tag seine Fühler weiter aus und ließ Jasons Umgebung friedlich erscheinen. Doch er selbst wusste, dass das einem reinen Trugbild entsprach. Die Leute zerrissen sich hinter den Mauern den Mund über ihn, zogen über ihn her und gaben ihm die widerwärtigsten Namen. Dazu brauchte ihm nicht einmal einer zu Ohren gekommen sein. Er lebte lange genug in dieser Stadt, um es ihnen an der Nasenspitze anzusehen. Auch jetzt begegnete er dem einen oder anderen, der ihn misstrauisch musterte und der ihn ganz aus Versehen anrempelte. Leicht hatte er es gewiss nicht und er musste sich erst noch behaupten, aber sein Kampfgeist war nun mal entfacht. So schnell würden sie ihn nicht wieder loswerden. Ebenso wie der Rest der Einwohner konnte er Sturheit und Eigenwilligkeit entwickeln. Nicht nur er hatte sich warm anzuziehen! Ohne zu zögern betrat er die erste Bar, die auf Hollys Liste stand. Es war gerade mal acht Uhr, aber die ersten Gäste saßen bereits am Tresen mit einem Bierglas vor sich. „Guten Morgen“, begrüßte Jason die Männer und visierte den Besitzer. Sofort begann wilde Tuschelei, bis der Barkeeper in seine Richtung ging und die Stimme lauter erhob als die anderen. „Der neue Anwärter. Seht ihn euch an. Stattlich, aber viel zu jung.“ Lautes Gegröle brach aus und einer der vier hielt sich kurz darauf den Bauch. „Kevin, wenn du deine Körperfunktionen nicht unter Kontrolle hast: dort ist dein Freund, das Klo!“ Angewidert hob er eine Braue und heizte das Gelächter damit nur noch mehr an. Der Angesprochene, ein bärtiger kleiner Mann, erhob sich und wankte gen Toiletten. Jason beobachtete alles stumm. „Die Kleine von gestern kannst du gern wieder hierher schicken.“ Süffisant beugte sich der Besitzer in den Mittvierzigern über den Tresen. „An ihr wirst du dir die Hände verbrennen“, erwiderte der Blondschopf ebenso selbstgefällig und betonte das ’du’ ebenso unverschämt. „Tja, leider habe ich ihr mein Ehrenwort gegeben“, seufzte er dann. „Also gib das Ding schon her.“ Er meinte selbstverständlich das Plakat, wovon Jason eines hervorholte und ihm hinstreckte. „Dan, du willst diesem Jüngling doch nicht wirklich helfen, oder?“ „Das ist mein Laden! Und da widerspricht mir keiner, egal was ich mit ihm anstelle.“ „Aber damit heimst du dir nur Ärger ein“, kam es vom Dritten, der bisher noch kein Wort gesagt hatte. „Und vertreibst dir Kundschaft.“ Abwägend sah Dan von einem zum anderen. „Ich bin ein Mann, der sein Wort steht. Und wenn das irgendwem nicht passt, der soll seinen dicken Wanst eben woanders hin bewegen! Und nun zu dir, Jüngling“, wandte er sich an Jason. „Glaub’ ja nicht, dass ich für dich stimmen werde. Ich mache das hier nur, weil mir deine kleine Freundin gefällt.“ „Ich bin zu größtem Dank verpflichtet.“ Theatralisch verbeugte sich der Blondschopf und konnte sich im Verborgenen ein belustigtes Grinsen nicht verkneifen. Als er sich jedoch wieder aufrichtete, barg er nicht mehr das geringste Amüsement in seinem Gesicht. „Raus hier“, komplimentierte der Barmann ihn hinaus. Nur zu gern ließ Jason dieses heruntergekommene Etablissement hinter sich. Als die frische Luft ihm entgegenwehte, schloss er die Augen und sog sie genießerisch ein. Wenn er wollte, konnte er ebenso zynisch wie die anderen sein. Vielleicht verschaffte er sich dadurch Respekt, so widersprüchlich sich das auch anhören mochte. Gleiches mit Gleichem gebühren war oft verpönt, doch manchmal genau der richtige Weg. Als er in etwa das zehnte Plakat an den Mann gebracht hatte, klingelte sein Telefon. „Holly?“, meldete er sich. „Wo steckst du gerade?“ „In der Nähe vom Kino. Ich wollte als nächstes in die Bibliothek gehen.“ „Gut, ich bin in fünfzehn Minuten dort. Bis dann.“ Er klappte sein Handy zu und zuckte im selben Augenblick noch zusammen. Wie aus dem Nichts spürte er zwei warme Hände auf seinen Schultern. „Müsstest du nicht arbeiten?“, fragte er seinen Freund. Er erkannte ihn am Geruch, der so unverkennbar war. Zumindest für ihn. „Tja, wenn du wüsstest“, hauchte der andere und griff nun mit einer Hand nach Jasons Kinn, riss es fast schon schmerzhaft zur Seite. Ehe sich der Blonde darüber beschweren konnte, fühlte er begehrende Lippen und eine herrische Zunge, die unwirsch um Einlass bat. Er konnte seinem Freund diesbezüglich nichts verwehren, denn jedes Mal, wenn er von ihm berührt wurde, wallte in ihm eine unbändige Leidenschaft, die bedingungslos gestillt werden wollte. Auch wenn er gnadenlos überfallen worden war, konnte er sich für den Vortag revanchieren. Er ließ Lance keine Chance und wehrte jeden Stoß dessen Zunge ab und plünderte stattdessen den Mund des anderen. Keuchend lösten sie sich nach einer schieren Ewigkeit und Jason sah ihn herausfordernd in die dunkelblauen Augen. „Heute so leicht zu schlagen?“ Aufreizend hauchte er ihm einen Kuss auf einen Mundwinkel, spürte im Gegenzug wohlwollend den verstärkten Druck um sein Kinn. „Auch du musst mal ein Erfolgserlebnis haben“, erwiderte der Schwarzhaarige, ehe er abrupt von ihm abließ. „Ich weiß noch nicht, wann ich heute nach Hause komme“, fügte er teilnahmslos an. Jedwede Gier war aus seinem Blick gewichen und hatte wieder dieser bald schon altbekannten Kälte Platz gemacht. Meter für Meter verschwand er aus seinem Blickfeld. Als Jason einige Plakate in Lance’ Linker entdeckte, kam er sich verraten vor. „Idiot!“, rief er seinem Freund hinterher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)