Dunkel... von Passer (Was passiert, wenn man nachts von einem Fremden aufgelesen wird?) ================================================================================ Kapitel 2: Zwei --------------- „Die Frage ist nicht was hier los ist, sondern warum es geschehen ist, Atru.“ Maylin wusste ganz genau, dass ihr Bruder es überhaupt nicht mochte, so von ihr in der Öffentlichkeit genannt zu werden. Soweit man das bei ein paar Bediensteten so sagen durfte. Er schnaubte und kam neben ihr zum Stehen. Wie ein Laser glitt sein Blick über den Elfen. Der Rabe auf seiner Schulter raschelte mit den Flügeln. „Was macht er noch hier? Warum liegt er nicht längst in seinem Bett, liebste Schwester?“ Wut stieg in ihr auf, doch sie ließ sich nichts anmerken. „Wir hatten keine Zeit dafür, weil wir damit beschäftigt waren, ihn am Leben zu halten“, antwortete sie zähneknirschend. „Gut. Dann könnt ihr das ja jetzt nachholen“, erwiderte er kalt und verließ die Halle wieder. Doch Maylin hielt ihn noch einmal zurück. „Warst du schon bei ihr, Atru?“ „Dazu wollte ich gerade kommen, May.“ ~ Die ganze Zeit über räkelte ich mich in den Federn und erstickte fast an den vielen Fragen, die mir meine Gehirngänge geradezu verstopften. Was sollte ich hier? Wo war ich hier überhaupt? Und vor allem: Warum? Ich wurde in meinen Gedanken von einem erneuten Aufreißen der Tür unterbrochen, ich rechnete mit niemand anderem als Maylin und stellte mich schon auf die erste Frage, die ich stellen wollte, ein, und umso mehr war ich überrascht, als auf einmal direkt vor mir ein völlig in schwarz gekleideter Mann stand. Der Mann. Ich schluckte. Er war mir immer noch genauso unheimlich wie an jenem Abend, obwohl wir uns nicht in dämmrigem Straßenlampenlicht befanden. Und noch immer saß der riesige Rabe auf seiner Schulter. Wie der Papagei eines Piraten. „So“, sagte er, mit seiner monotonen, kalten Stimme und zog den Stuhl heran, auf dem er sich niederließ. „So. Du bist also hier.“ Ich hätte niemals, absolut niemals gedacht, dass man jemanden derart unfreundlich begrüßen konnte. Etwas stieg in mir auf – war es Wut? Jedenfalls wusste ich nicht, was mit mir durchging, als ich den Kopf trotzig vorstreckte und erwidert: „Ja, und ich wüsste zu gerne einmal, warum.“ Seine Augen verengten sich um eine Winzigkeit, aber gerade so weit, dass man es erkennen konnte. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Ich bekam Gänsehaut. „Ich wüsste keinen Grund, mir so etwas bieten zu lassen. Andererseits...“ Sein Gesicht war reglos wie das einer Statue, einzig sein Mund bewegte sich wie etwas Übernatürliches. „Andererseits finde ich es nur gerecht, dich in die Dinge einzuweihen, bevor du Opfer deines eigenen Schicksals wirst.“ Opfer meines Schicksals? Aus welchem Roman war der denn entsprungen? Mit einem Mal, plötzlich wie ein Blitz, kam er mir ganz und gar nicht mehr gruselig vor. Er war einfach nur lächerlich. Dracula höchstpersönlich. Irgendwie schien er meine Gedanken erraten zu können, denn da war ein gewisses Funkeln in seinen Augen. In den blutroten Augen. Ich schauderte wieder. „Du willst also wissen, warum du hier bist?“ Er ließ ein Geräusch vernehmen, das wohl entfernt an ein Lachen erinnerte. „Nun gut, ich werde es dir sagen. Wie bereits erwähnt, habe ich dich aufgrund deines Schicksals geholt. Du befindest dich in meinem Schloss.“ Ich verstand immer noch nichts. Meine Nervenbahnen brummten so laut, dass ich nicht klar denken konnte. „Du wirst sicher verstehen, dass auch ich ein paar Fragen habe. Schließlich habe ich dich nicht nur einfach so hierher gebracht.“ Er hielt kurz inne, um seine Worte zu unterstreichen. „Als erstes wirst du mir sagen, wo du die Quellsteine versteckt hast.“ Mein Blick war verwirrter denn je. Seine Augenbrauen zogen sich vor Wut zusammen, als er registrierte, dass ich nicht antworten würde. Was auch? „Merle, ich habe dich etwas gefragt.“ Seine Lider zuckten. Noch immer regte ich mich nicht. Ich wartete auf ein Wunder. Ich wollte in der Erde versinken, verschluckt werden, und nie wieder auftauchen... Nur weg von hier... Ein drittes Mal an diesem Tag wurde die Tür aufgerissen, und diesmal stellte ich mit Genugtuung fest, dass es Maylin war. Sie wirkte gehetzt und keuchte. Ihre Gestik war eindeutig. „Atru“, keuchte sie atemlos. „Atru, raus hier.“ Der Mann hatte sich zu ihr umgedreht und starrte sie unverwandt an. Maylins Körper spannte sich an. „Ich sagte, du sollst diesen Raum verlassen“, wiederholte sie scharf. Der Rabe krächzte. „Du wagst es...?“, sagte er ungläubig. Maylin funkelte ihn weiterhin erwartungsvoll an und hielt ihm die Tür offen. Mit einem wütenden Ruck erhob er sich und war mit zwei schnellen Schritten aus dem Zimmer. Ich hätte schwören können, dass sein schwarzes Haar geraucht hätte. ~ „Es tut mir Leid, was da eben passiert ist“, beteuerte Maylin. „Ich habe nicht gedacht.“ Ich war schon etwas geschockt von seiner Frage gewesen, doch der Weltuntergang war es ja nun nicht. Mein Misstrauen jedoch wuchs mit jedem Wort von ihr. Irgendetwas geht hier vor. „Schon gut“, sagte ich schwach. „Natürlich wollte er dich sehen... Aber ich habe vergessen, dass er natürlich auch Fragen hatte...“ Sie schlug sich die Hand vors Gesicht und murmelte etwas vor sich hin, das sehr nach Dummkopf klang. Dann griff sie nach hinten, wo ein kleiner Tisch stand, und reichte mir eine Schüssel mit warmer Suppe. Sie lächelte. „Hier, dein Essen. Beinahe wäre mir auch das entfallen.“ Nachdem ich die Suppe gegessen hatte – es war nicht gerade die Beste, die ich je gegessen hatte – blickte ich Maylin an. Sie sah betreten zur Seite, denn sie ahnte wohl, dass jetzt etwas Unangenehmes auf sie zukommen würde. Ich kabbelte zunächst nur mit meinen Fingern herum, bis ich mich endlich durchrang zu fragen: „Also... Wo bin ich hier?“ Ich hielt kurz inne. „Dieser... Dieser Mann sagte vorhin, ich wäre in seinem Schloss... Das stimmt doch nicht, oder?“ Zweifelnd sah ich sie an. Sie atmete aus irgendeinem Grund erleichtert auf. „Doch, das stimmt schon... Du befindest dich hier im Schloss meines Bruders Atrunicas.“ „Wer...?“, wollte ich anfangen, doch ich wurde von ihr unterbrochen. Sie plapperte plötzlich los wie ein Wasserfall. „Atrunicas und ich leben hier schon ewig. Das hier ist die Heimat des Bösen, um dich nicht zu erschrecken... Im Schloss wohnen nur Personen, die in ihrem früheren Leben oder in ihrem jetzigen eine schwere Sünde begangen haben. So einfach ist das.“ Sie schaute mich merkwürdig an. „Und um weitere Fragen vorzubeugen: Du bist nicht hier, weil dein Leben bereits beendet ist, oder du sühnen sollst. Keineswegs. Aber mein lieber Bruder wollte dich wegen irgendetwas in seinem Schloss haben. Ich weiß es selbst nicht so genau. Er spricht kaum mit mir.“ Sie seufzte. „Es ist schon seltsam...“ Die letzten Worte hatte sie mehr zu sich selbst als zu mir gesagt, hatte ich das Gefühl. „Was ist seltsam?“, fragte ich. „Naja, früher hat er mit mir immer über alles gesprochen, aber seit...“ Sie stockte wieder und in ihren Augen spiegelte sich ein trauriger Glanz. „Seit er diesen Wandler hat, zieht er sich immer mehr in sich zurück.“ „Was ist denn ein Wandler?“ Sie runzelte die Stirn. „Du weißt nicht, was ein Wandler ist? Na gut... Wandler sind Personen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beeinflussen können. Sie sind dazu fähig, ihr Äußeres nach Belieben zu ändern, aber das Gefährlichste an ihnen ist ihr starker Wille. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, versuchen sie, auch ihren Träger davon zu überzeugen, und dieser Wille ist zu neunundneunzig komma neun Prozent nichts Gutes.“ Sie schwieg und sah mich nicht an. Sie schien in ihre Gedanken versunken zu sein. Mir brannten noch Tausende von Fragen auf den Lippen, aber ich wollte ihr nicht zu nahe treten. Eine jedoch konnte ich mir dennoch nicht verkneifen. „Maylin – Wer ist der Wandler deines Bruders?“ Sie sah auf und lächelte traurig. „Der Rabe, Merle. Der Rabe.“ ~ Pass auf. Sie kommen von links. Der Mann in dem zerfledderten Umhang lenkte sein Reittier scharf nach rechts. Er zeigte nicht die geringste Regung von Schreck oder Anstrengung. Nicht so das Tier unter ihm. Es darf nicht mehr lange dauern, Amalfas. Ich weiß. Wir haben es bald geschafft. Das hässliche, pferdeähnliche Wesen hatte fast gar nichts von einem Reittier. Der Rücken war so missgebildet, dass man sich wunderte, überhaupt darauf sitzen zu können. Überhaupt war es eigentlich überhaupt kein Rücken – das Wort Buckel hätte es eher getroffen. Der Kopf war von scharfen Zügen und übernatürlich gerade. Dort, wo die Augen hätten sein müssen, befanden sich nur zwei so grell leuchtende Steine, dass man, wenn man zu lange in sie hinein sah, blind werden konnte. Die Beine waren verwirrend lang und liefen auf dem goldenen Sternenstaub; hin und wieder hatte es den Anschein zu fliegen. Die Rippen stachen hervor wie Gitterstäbe. Das Tier hatte außerdem die Fähigkeit, aus sämtlichen Stellen seines Körpers zusätzliche Knochen herauswachsen zu lassen, um somit einige scharfe Waffen unter Beweis stellen zu können. Fügte man dem schwarzen Lebewesen dann noch ein paar lange, zur Seite abstehende Hörner hinzu, so nannte sich das Ganze Cantrol. Ein silberner Schatten zischte direkt an Atrunicas‘ rechtem Ohr entlang und hinterließ eine tiefe Schramme, aus der sofort Blut floss. Es störte ihn nicht im Geringsten, aber dass sie es überhaupt schon geschafft hatten, ihn zu berühren, zeigte ihm, wie langsam und unvorsichtig der Cantrol schon geworden war. Unvorsichtige Cantroli – wozu waren die nütze? Von unten! Der Schrei hallte mehrfach in seinen Gedanken wieder, und im letzten Moment konnte er noch ausweichen. Der weiße Blitz schoss mit der Kraft einer Gewehrkugel weiter in den Himmel hinauf. Atrunicas‘ Atem hatte sich kein Stück beschleunigt. Sein Puls schlug außergewöhnlich langsam, doch das war normal. Zumindest für ihn. Ich verfluche dich gleich dreimal, Amalfas, wenn das nicht bald vorbei ist. Du weißt, wie sehr ich es hasse, zu fliehen. Ein unangenehmes Krächzen, selbst für seine Ohren. Die Wolken umfingen sie mit einem Schlag wie besonders dichter Nebel. Kleine Tröpfchen bildeten sich auf seiner Haut, gefroren aber schon nach wenigen Sekunden zu klarem, glitzerndem Eis. Er paffte der Wolkensuppe wie zum Hohn große, rabenschwarze Ringe entgegen. Aus der Traum. Sie flatterten schon wieder um ihn herum. Grässliche kleine Viecher. Auch nur eine Berührung von ihnen verbrannte seine Haut wie ein frisch geschmiedetes Schwert. Er hustete. Von dem ganzen Gesülze kriege ich schon Anfälle... Zeit, zu handeln. Er stieß einen nur für Amalfas hörbaren Pfiff aus, und der Rabe veränderte seine Gestalt, erst verlor er an Farbe, bis er einem Schatten in der dreidimensionalen Welt glich – nur einen Sekundenbruchteil später zog ein zischender Drache, so groß wie ein kleines Landhaus, seine Kreise um die Träume. Er vermochte sie nicht zu zerschmettern, doch er trieb sie zusammen, sodass Atrunicas sie einfach zu zerschlagen brauchte. Er wollte nicht mehr fliehen. Früher oder später hätten sie die Träume sowieso vernichten müssen. Es gab einfach zu viele davon in der Welt. Eindeutig. Atrunicas hob die rechte Hand, sammelte seine Kraft, sein schwarzes Blut in ihr, bis ihm die Fingerspitzen kribbelten und die Handfläche ultramarin glühte. Allein mit seinen Gedanken steuerte er den gleißenden Lichtblitz, der auf die Träume zuschoss. Sie zersplitterten augenblicklich. Der Drache fauchte bedrohlich, dass sie nicht zurückkehren konnten. Eine Sekunde später hockte der Rabe wieder auf Atrunicas‘ Schulter. Der Cantrol schnaubte hohl. „Lass uns jetzt nach Hause gehen“, knirschte Atrunicas und lenkte das knochige Tier in eine sanfte Kurve. ~ „Merle. Merle, wach auf.“ Eine sanfte Stimme befreite mich von dem Alptraum, der mich heimgesucht hatte – ein unverkennbar finsterer Alptraum. Ich blinzelte. Maylin schaute besorgt auf mich herab. Es war mir nicht gut gegangen in den letzten Tagen. Noch immer wusste ich nicht, warum ich hier war, und diese Frage hätte mir nur Maylins Bruder – wie hieß er noch? – Atrunicas beantworten können. Doch der war seit dem Vorfall nicht mehr hier aufgetaucht, und meine Beine fühlten sich an wie aus Gummi. „Deine Stirn ist immer noch heiß“, sagte Maylin und legte eine kühle Hand an meinen Kopf. „Kein Wunder... Dein Körper scheint sich noch immer nicht an das eigentlich Ungreifbare gewöhnt zu haben...“ „Was meinst du denn damit?“ Stirnrunzelnd musterte ich sie. Ich hatte sehr viel geschlafen, fast die gesamte Zeit, aber mittlerweile war sie mir zu einer Art Freundin geworden. „Nun ja, wie ich dir letztens schon gesagt habe, kommen in dieses Schloss alle Sünder, die ihre Schuld begleichen wollen beziehungsweise müssen. Niemand wagt sich je hinaus, nur meinem Bruder ist das gestattet. Dort draußen lauert die wahre Finsternis. Diese Dunkelheit ist nicht nur mit den Augen zu sehen...“ Sie nickte und legte ihre Hand auf die Stelle, wo sich ihr Herz befinden musste. „Man spürt sie. In den letzten Tagen dringt immer mehr von ihr durch die Spalten zwischen Fenster und Mauer, immer näher kommt ihre Anwesenheit. Es ist unheimlich.“ In diesem Moment jagte mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. ~ Es dauerte noch einige Tage, bis ich aufstehen durfte. Ich wusste nicht, wie viel Zeit seit meiner Ankunft in diesem Schloss vergangen waren, feststand, dass man mich zu Hause vermissen würde. Und das sagte ich Maylin. „Mach dir da mal keine Sorgen“, antwortete sie jedoch voller Zuversicht und ergriff meine Hand. „Sowohl du als auch deine Eltern sind in guten Händen.“ Was sollte das nun wieder bedeuten? Ich beließ es dabei und versuchte, das Bad ausfindig zu machen. Jetzt lag ich hier schon so lange im Bett, mit vor Fieber geschwächtem Körper, und hatte noch nicht einmal unter der Dusche gestanden...! Wie von der Tarantel gestochen sprang ich aus den Federn, fiel jedoch fast im selben Augenblick wieder nach hinten. Ein unglaubliches Schwindelgefühl übermannte mich. Alles um mich herum drehte sich, und flimmernde Funken tanzten vor meinen Augen... „Leg die Beine hoch.“ Wie von weit her hörte ich die männliche, so kalte Stimme. Ich hätte sie überall wiedererkannt. Dann wurde mir ein Stapel Kissen unter die Beine geschoben, und reflexartig verschränkte ich die Arme unter meinem Kopf, um ihn zu stützen. Eine geraume Weile lag ich so da und versuchte, mein Gegenüber genauer zu betrachten, aber aus irgendeinem Grund blieb mir der Blick verwehrt. „Alles in Ordnung?“ Hatte ich da einen Tick Sorge mitschwingen gehört? Ich versuchte mich wieder aufzurichten, doch eine Hand drückte mich sanft in die Matratze. „Bleib einen Moment liegen. Mit so was ist nicht zu spaßen.“ Wer war das?! Das war auf keinen Fall Maylins Bruder. Ich erschauerte. Die Hand an meiner Schulter war kalt wie Eis. Als hätte er meine Gedanken gelesen, zuckte Atrunicas‘ Hand zurück und verkroch sich unter dem Umhang. Die roten Augen blitzten auf. Sie waren immer noch ein abartiger Anblick. Ich wagte es nicht, einen Laut von mir zu geben. Das Bett unter mir erschien mir plötzlich wie ein Versteck, eine warme Zuflucht, und ich verkroch mich tiefer unter die Decke, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Misstrauen musste eigentlich in meinen Augen liegen – wenn ich denn so viel Mut gehabt hätte, es offen zu zeigen. Ein paar Minuten blieben wir so reglos im Zimmer, starrten uns an; mein Blick glitt wohlweislich an ihm vorbei, doch er bemerkte hundertprozentig, dass ich ihn aus dem Augenwinkel betrachtete. Ebenso wie er mich. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust. „Wenn du so weitermachst, wirst du sterben.“ Meine Augen weiteten sich, aber ich sagte nichts. Er nickte wie zur Bekräftigung. „Es stimmt. Glaub mir.“ Er drehte sich weg, ging auf ein Bücherregal zu. „Die Dunkelheit frisst dich auf, wenn du dich nicht gegen sie wehrst. Beziehungsweise so lange im Bett zu bleiben, bis du kerngesund bist.“ Argwöhnisch schnaubte ich, kaum hörbar. Für ihn nicht. Er lachte leise. „Du glaubst mir also nicht? Soll ich dir das Gegenteil beweisen?“ Er kam langsam wieder zurück, ein gefährliches Funkeln in den Feueraugen. Dann streckte er die Hand aus. „Lass mich dir die Dunkelheit zeigen, Merle.“ Ich dachte nicht einmal daran, mitzugehen, wo auch immer er mich hinbringen wollte! Seine Finger berührten mein Schlüsselbein, um danach die Schulter zu umfassen. Ein Druck legte sich auf sie. Die Kälte brannte mir ins Fleisch. Erst dann erwachte ich aus meiner schockgleichen Starre. „L... Lass mich in Ruhe!“ Ich rückte weg von ihm, gegen die Wand. Das Bett knarrte unwillig, als Atrunicas sich darauf setzte. Seine Augen hatten sich nicht einen Deut verändert. „Und wenn ich dir sage, dass du mitkommen sollst?“ Nun sagte ich nichts mehr. Nie wieder. Das schwor ich mir. ~ „Atru!“ Maylin rannte in das Kaminzimmer und stieß die Tür auf. Niemals brannte hier ein Feuer, und würde es auch nie tun. Atrunicas hasste die Wärme. Ihr Bruder fuhr ein wenig erschrocken hoch, das überraschte Glitzern seiner Augen erlosch augenblicklich, als er seine Schwester erkannte. Stattdessen schlich sich ein drohender Ausdruck in sie. Maylin blieb unbeeindruckt. „Warum, verdammt noch mal, liegt Merle immer noch im Bett!“, stieß sie wütend hervor. Atru verzog nicht die geringste Miene. „Weil sie noch nicht bereit dazu ist.“ Sekundenlang hingen die kalten Worte in der Luft, bis Maylin schließlich erwiderte: „Ich hatte ihr erlaubt, aufstehen zu dürfen. Was hast du zu ihr gesagt?“ Atrunicas wandte sich wieder dem Kamin zu und starrte hinein. Der Staub war pechschwarz, genauso, wie er es liebte. „Das geht dich nichts an.“ „Und ob mich das was angeht! Immerhin bin ich für sie verantwortlich!“ Er schnaubte verächtlich. „Für sie verantwortlich? Das glaubst du doch wohl selber nicht. Ich bin derjenige, der sie hierher geholt hat. Ich habe entschieden, dass sie hier bleiben darf. Nicht du.“ Maylin zischte. „Wenn es dir nicht passt, dass sie im Schloss umherstreift, bring sie zurück nach Hause! Ich weiß sowieso nicht, warum du sie hierher verschleppt hast.“ Er schwieg beharrlich. Sie seufzte. „Aus dir ist wohl nie ein vernünftiges Wort herauszubekommen“, sagte sie leise. Sie wandte sich zur Tür und wollte gerade auf den Flur hinaustreten, als seine Stimme hinter ihr wieder ertönte. „Ich weiß selbst nicht, warum ich sie geholt habe. Ich weiß nur, dass sie von einer gewissen Wichtigkeit ist.“ Sie drehte sich noch einmal um. „Aber warum jagst du ihr dann solche Angst ein, dass sie sich nicht einmal mehr aus dem Bett traut?“ Das wüsste ich auch gerne, dachte sich Atrunicas. Eines stand fest: Er würde Merle nicht so leicht wieder gehen lassen. ~ Er hatte Pläne mit ihr. „Du wirst aufstehen und mit mir kommen.“ Merle rührte sich nicht. Die Decke wieder tief ins Gesicht gezogen, starrte sie auf ihre Finger. Einfach ignorieren. Die Zimmertür schlug zu, er schien draußen auf sie zu warten. Als sie nach einer halben Stunde immer noch nicht herausgekommen war, kam er wieder herein, mit einem leicht saurem Gesichtsausdruck. „Ich sagte, du kommst jetzt mit mir mit.“ „Warum?“, piepste sie. „Weil du lernen musst“, knurrte er. Lernen? Was, zum Teufel, sollte sie denn jetzt lernen? Irgendwann seufzte sie ergeben, er würde sowieso so lange hier bleiben, bis sie mit ihm kam. Sie nickte knapp auf die Tür und suchte nach Kleidung. Sie fand in einem großen Schrank, das, was sie brauchte: Eine schwarze Strumpfhose, eine weiße Leinenhose, die ihr bis knapp unter die Knie ging, eine ebenfalls weiße Bluse und eine ähnliche dicke Kordel, wie Maylin sie hatte, nur in Saphirblau. Sie zog sich an und warf einen kurzen Blick in den Spiegel, der an den Schranktüren angebracht war. Du siehst ganz schön fertig aus, Merle. Sie seufzte. Für einen Gang ins Bad würde Atrunicas gewiss nicht länger warten. Also überhörte sie ihr rasendes Herzklopfen, drückte die Klinke herunter, und ging hinaus auf den Flur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)