Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 7: Wiedersehen ---------------------- Der Duft von Rosen empfing Hitomi, als sie aus ihrem Schlaf erwachte. Langsam schlug sie die Augen auf. Über ihr sah sie den nächtlichen Himmel von Farnelia und die Erde gemeinsam mit ihrem Mond. Irritiert richtete sie sich auf und schaute sie sich um. Sie lag zwar in einem riesigen Bett mit edlen Decken, war aber von einem bläulich leuchtenden Horizont mit rot glühenden Wolken umgeben. Nur ihrer linken Seite schimmerte es rötlich durch riesige Vorhänge. Sie atmete erleichtert auf. Jetzt erkannte sie das Zimmer, in dem sie lag, als die Innenseite einer Kuppel. Die Decke war bis zum Boden hin mit einer täuschend echten Abbildung der Gestirne bemalt worden. Rechts neben sich war das Ende einer Treppe, die hinunter führte. Zur ihrer Linken befand sich eine waagerechte, drei Meter hohe Unterbrechung aus weinroten Vorhängen, hinter denen sich mannshohe Fenster befinden mussten. Hitomi schätzte den Durchmesser des Raums auf stolze zehn Meter. Krüge voll von Rosen rahmten das Bett ein. Ausgiebig betrachtete sie den Sternenhimmel über ihr. Ihr träumerischer Blick blieb schließlich auf der Erde haften. In ihrem Innern regte sich wieder der Wunsch zurückkehren, gleichzeitig aber sehnte sie sich danach Van nach so langer Zeit endlich wiederzusehen und bei ihm bleiben zu können. Hin und her gerissen von ihren Wünschen und Ängsten ließ sie sich zurück in die Kissen auf das Bett fallen. In ihren Innern geisterte die eine Frage, auf die sie keine Antwort hatte. Schließlich holten leise Schritte Hitomi aus ihrer Dämmerung. Sich müde ihrem Schicksal fügend wartete sie darauf, dass der nächste Schlag kommen möge. Ein Mädchen stieg die Stufen der Wendeltreppe hinauf und blieb panisch stehen, als sich ihre Blicke dicht über dem Boden trafen. Sie trug ein beiges Kleid und eine weißen Schürze ohne jeglichen Schmuck. Nach einer Schrecksekunde trippelte die junge Dienerin die letzten Stufen hinauf, rannte zu den Vorhängen und riss sie ruckartig auf. Zum Schutz vor dem grellen Sonnenlicht hob Hitomi ihren linken Arm, dann erhaschte sie einen Blick auf die Dächer von Farnelia. Sie befand sich also in der Villa auf der Palastebene. Nur diese thronte weit genug über der Stadt, um diesen Ausblick zu ermöglichen. Das Mädchen drehte sich um und sah sie mit fragendem Blick an. Hitomi lächelte zurück und hoffte inständig, dass die Bedienstete keine Ahnung davon hatte, wer vor ihr lag. Das letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war ein vergiftetes Frühstück. Sie wollte sie gerade nach ihrem Namen fragen, da schien dem Mädchen etwas einzufallen. Wie vom Blitz getroffen rannte sie zur Wendeltreppe und verließ das Zimmer. Langsam war es Hitomi Leid ständig allein und im Ungewissen gelassen zu werden, doch die beiden Verbände an ihren Beinen fesselten sie ans Bett. Ihr Blick schweifte von der Treppe über das Himmelszelt zurück zum Fenster. Mittlerweile hatten sich ihre Augen an das Licht der aufgehenden Wintersonne gewöhnt, die nun unbehindert in ihr Zimmer schien. Zwei Reihen aus kleinen, leblosen Bäumen flankierten die Sicht auf den ebenso kargen Garten. Dahinter blitzten die Dächer Farnelias im kalten Schein der Sonne. Alles in allem doch ein recht herrlicher Anblick. „Du bist also zurück...Hitomi.“, sprach sie eine ihr wohlbekannte und lang ersehnte Stimme an. Sie war wie erstarrt und begann sie sich zu schämen. So lange hatte sie auf diesen Augenblick gewartet, jetzt aber hatte sie nicht einmal den Mut sich umzudrehen. „Van, bist du das?“, fragte leise. „Wer sonst?“, antwortete ihr die Stimme abfällig. Mit schweren Schritten näherte sich die Person hinter ihr. Wie hatte sie ihn überhören können? Warum hatte sie ihn nicht spüren können, wo er doch die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen war? Selbst jetzt, wo er nur ein paar Meter von ihr entfernt war, konnte sie seinen Geist nicht erfassen. Es war so, als würde er gar nicht existieren. Langsam rückte er in ihr Sichtfeld. Van vollendete seinen behäbigen Gang, bis er direkt am Fenster und mit dem Rücken zu ihr stand. Ausgiebig genoss er die herrliche Aussicht, während Hitomi ihn beobachtete. Ihr stockte der Atem. Sein ehemals wildes, langes Haar war nun nur noch wenige Zentimeter lang und stand aufrecht wie schwarze Stacheln eines Igels. Gekleidet war er in einem dunkelblauen, mit goldenen und weinroten Mustern bestickten Gewand. Seine aufrechte und stolze Haltung strotzte nur so vor Kraft. Das Schwert an seiner Seite verstärkte ihren Eindruck nur noch. „Wunderschön, nicht wahr, was aus Farnelia geworden ist?“, bemerkte Van, doch Hitomi hörte es kaum. Außer sich vor Bewunderung richtete sie ihren Oberkörper auf ohne ihren Blick von ihm abzuwenden. „Du hast dich verändert, Van.“, lobte sie ihn überschwänglich. Kurz drehte er sich zu ihr um, begutachtete sie und stellte dann nüchtern fest: „Du nicht.“ Ärger machte sich in Hitomi breit, welcher ihr wieder einen klaren Kopf bescherte. Doch brauchte sie nur einen Augenblick um festzustellen, dass er im Grunde Recht hatte. Noch immer hatte sie die gleiche Frisur und sie war in den letzten drei Jahren kaum gewachsen. Van, so schätzte sie, musste sie um mindestens eine Kopflänge überragen. Nur ihre Oberweite war größer geworden, aber nicht so sehr, dass es im Nachthemd auch hervorstach. Trotzdem hatte es ihm verdammt nochmal aufzufallen! Van bekam von alledem nichts. Er ignorierte sie durch das Fenster. „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“, merkte er trocken an. „Welche Frage?“ „Gefällt dir das, was aus Farnelia geworden ist?“, wiederholte Van. Hitomi schaute zum Fenster hinaus und ließ den Anblick von den funkelnden Dächern auf sich wirken. „Ja, sehr sogar. Obwohl ich bisher das meiste nur aus der Ferne bewundern durfte.“, antwortete Hitomi. „Was ist seit deiner Ankunft passiert?“ Hitomi hielt inne. Plötzlich brachen all die unangenehmen Erinnerungen über sie hinein. „Ich möchte darüber lieber nicht reden, Van. Außerdem weißt du sicherlich mehr als ich.“, sagte sie mit mühsam kontrollierter Stimme. „Trotzdem möchte deine Version der Geschehnisse hören.“, informierte er sie. „Es könnte für die Ermittlungen sehr wichtig sein.“ Hitomi gab den Widerstand auf und begann zu erzählen: „Erst landeten Merle und ich genau auf der gleichen Stelle wie wir damals. Erinnerst du dich? Es war die Wiese, die so herrlich nach Gras duftete. Na ja, irgendwie logisch. Dann wurde ich von einem Zaibacher Guymelef gefangen genommen, der mich in ein Waldlager voll von schwer bewaffneten Soldaten brachte. Wo das Lager ist, weiß ich nicht. Irgendwo im Wald. Ich wurde auf einem Karren geworfen, mit Stroh zugedeckt und der Karren setzte sich in Bewegung. Wie lange die Reise ging, weiß ich nicht mehr, doch schien die Sonne, als Merle mich rettete.“ Bei der Erinnerung an Merles Rettungsaktion ging Hitomi die Luft aus, doch schließlich schluckte sie den Alptraum runter und sprach weiter. „Ich schlief dann ein. Als ich aufwachte, befand ich mich auf einem Luftschiff, das anscheinend unterstellt Merle war.“ „Das war die Katzenpranke.“, informierte Van sie. „Es ist ein Geschenk von Astoria und wurde uns zusammen mit Folkens Guymelef übergeben. Beides habe ich Merle zur Verfügung gestellt, damit sie ihren neuen Aufgaben besser nachgehen kann.“ Hitomi lief es kalt den Rücken hinunter. „Wie auch immer, die Katzenpranke setzte mich in Farnelia ab und ich wurde in eine Halle voll von Seuchenopfer gebracht.“ Van schnaubte empört. „Wie kommst du denn darauf?“ „Der Träger, übrigens der gleiche Typ, der mich später entführte, sagte, dass ein Seuchenproblem herrsche.“ „Aber die Seuchenopfer werden im Krankenhaus behandelt. In der Markthalle habe ich ein provisorisches Krankenhaus für normale Fälle einrichten lassen.“, widersprach Van beleidigt. „Entschuldige. Das wusste ich nicht.“, gab Hitomi kleinlaut zu. „Du scheinst ja sehr viel Vertrauen in mich zuhaben, wenn du denkst, dass ich derart schlampig mit einer Seuche umgehe.“, warf Van ihr vor. Noch immer sah er zum Fenster hinaus ohne sie direkt anzusehen. „Jedenfalls wurde ich dort während der Nacht betäubt und fand mich daraufhin in diesem Zimmer wieder. Vielleicht kannst du mir jetzt mal erklären, was die Typen von mir wollten.“, fügte Hitomi streng hinzu. „Auf dich ist ein Kopfgeld ausgesetzt worden. Von wem und wie hoch es ist, ist leider nicht bekannt.“ „Wer sollte ein Kopfgeld auf mich aussetzen?“, wunderte sich Hitomi. „Keine Ahnung.“, antwortete ihr Van. „Es ist aber nicht das erste Mal. Abgesehen von den Zaibacher Versuchen gab es doch auch eine Entführung in Astoria, aus der ich dich befreien musste.“ Hitomi zog eine Grimasse angesichts der aufkeimenden Erinnerungen. Gefangen in dem engen Unterseeboot zusammen mit schuppigen Entführern. Die waren allerdings immer noch besser gewesen als dieser perverse Träger. „Warum bist du überhaupt hierher gekommen?“, erkundigte sich Van. „Weil Merle mich darum gebeten hat. Du hast sie doch geschickt. Ich soll bei den Alliierten vermitteln.“ „Sieh nach draußen! Was siehst du?“, forderte er Hitomi auf. „Ich sehe Farnelia.“, antwortete sie verwirrt. „Allein in der Stadt leben zehntausend Einwohner, die hauptsächlich die Getreideerzeugnisse von zehnmal so vielen Bauern verarbeiten und handeln. Das Getreide ist unser wichtigstes Exportgut. Ohne uns würde die Lebensmittelversorgung von Chuzario, Astoria und Zaibach ernsthaft in Gefahr sein. Alles in allen sind das noch einmal hunderttausende Menschen.“, erklärte Van. „Warum erzählst du mir das?“, fragte Hitomi ratlos. „Ich habe Merle bestimmt nicht befohlen dich zu holen. Deine Anwesenheit hier in der Villa De Farnel gefährdet das Leben jedes einzelnen von ihnen?“ „Hä?“ „Du hast doch sicherlich schon von den Gerüchten gehört, dass die Zaibacher Kriege allein dein Werk gewesen sein sollen.“ „Ja, hab ich.“, antwortete Hitomi verstimmt. „Aber du weißt, dass das nicht wahr ist.“ „Ich schon, aber wie sollen wir das beweisen? Wir waren überall, wo auch der Krieg war. Gerade, als du kamst, fielen die Zaibacher über Farnelia her. Als wir dann in Palas Unterschlupf suchten, griffen uns auch dort Dilando an. Dann gingen wir nach Fraid, das kurz darauf auch zerstört wurde. Nachdem wir nach Palas zurückkehrt waren, wüteten die Zaibacher wieder dort, nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie deine Auslieferung ausdrücklich verlangten. Schließlich folgte ein weltweiter Krieg.“ Hitomi schwieg verdrossen. „Du siehst, es ist gar nicht so abwegig zu glauben, du seist an allen Schuld. Außerdem sorgt deine Abstammung vom Mond der Illusionen zusätzlich für Verunsicherung bei den Leuten. Langsam fangen die Herrscher an ihrer Bevölkerung zuzuhören und der Pöbel will Blut sehen. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis dich der Rat der Alliierten offiziell ächtet. Dann kann selbst ich dich nicht mehr schützen. Würde ich es dennoch tun, käme es zum Krieg und hunderttausende Menschen müssten Hunger oder Tod leiden.“ Van musterte Hitomi, die sich inzwischen völlig verunsichert zusammenkauerte. Mit einer lässigen Bewegung warf er ihr einen rosafarbenen Anhänger hin. Hitomi wollte es nicht glauben. Sie hatte ihm diesen geheimnisvollen Edelstein als ein Andenken geschenkt und er warf ihr das wertvolle Erbstück einfach so achtlos vor die Füße. „Tu uns allen einen Gefallen und kehre dorthin zurück, wo du hingehörst!“, forderte Van sie nachdrücklich auf und wandte sich demonstrativ ab. Eigentlich war ihr zum Heulen zumute, doch keine einzige Träne traute sich hinaus. Still nahm sie den Anhänger ihrer Oma und hielt ihn vor ihr Gesicht. Sie wollte nur noch nach Hause und in den Armen ihrer Mutter liegen. Vielleicht konnte sie dann weinen. Augenblicke vergingen. „Es geht nicht.“, wimmerte die verzweifelte Frau mit fast tonloser Stimme. Sie verstand es nicht. Obwohl sie alles hatte, die Kette und den Willen, erschien keine Lichtsäule, die sie nach Hause trug. Bestimmt hätte sie die schnelle Bewegung bemerkt, mit der Van eine Hand über seine Wangen strich, doch ihr Blick haftete auf der Bettdecke vor ihr. So schnell wie er nur konnte, stürmte der König aus dem Zimmer und ließ sie allein. Hitomi blieb regungslos sitzen. Woher ihr Herz die Kraft zum Schlagen fand, war ihr ein Rätsel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)