Perfect von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: T h r ee ------------------- Ein helles silbernes Licht weckt mich. Mein Nacken ist steif, ich hebe meinen Kopf, meine Wange klebt auf dem kalten Plastik des Küchentisches. Ich stütze beide Ellbogen darauf. Lege mein Gesicht in die Hände, fahre mir über die Haut. Die Träume hatten wieder angefangen, kurz nachdem ich eingeschlafen war. Ich wälzte mich unruhig hin und her, wachte wie erwartet, schreiend auf. Er hatte mich fallen lassen. Hatte losgelassen. Und wie jedes Mal konnte ich seinen Gesichtsausdruck dabei nicht sehen, sein Kopf lag im Dunkeln, versteckt in den Schatten. Als ich aufwachte, schweißgebadet, zitternd wie Espenlaub, schlich ich mich aus dem Zimmer, um den schlafenden Shizumi nicht aufzuwecken. Ich war in die Küche gegangen, hatte mich an den Küchentisch gesetzt und nachgedacht. Und war glücklicherweise dabei eingeschlafen OHNE von dem Traum heimgesucht zu werden. Obwohl, glücklicherweise ist vielleicht falsch. Mein Nacken tut mehr weh, als damals zu Konzertzeiten. Ich massiere ihn nun stöhnend und versuche das verspannte Gewebe aufzulockern. Dies stellt sich als schwieriger heraus, als ich geglaubt habe. Ein paar tapsende Schritte verraten Shizumi, bevor ich ihn sehen kann. Nun steht er an der Küchentür, blickt mich verwundert an. „Schon wach? Ich hab gar nicht bemerkt, wie du aus dem Zimmer raus bist…“ Ich lächle schwach. „Hab’ ja auch nicht neben dir geschlafen Idiot.“ Bevor er fragen kann, warum ich nicht sein Bett geteilt habe, winke ich ab. „Frag nicht warum, es ist nicht wichtig. Mach mir lieber einen Kaffee!“ „Dafür, dass du anscheinend schlecht geschlafen hast, wenn man dich mit deinen dunklen Augenringen ansieht, kannst du einen aber noch ganz munter rumkommandieren.“ Trotzdem macht Shizumi wie gefordert meinen Kaffee. Während er an der Maschine beschäftigt ist, sehe ich aus dem Fenster. Ich wundere mich wie viele Autos zu der frühen Morgenstunde unterwegs sind, es ist Feiertag. Menschen laufen geschäftig über die überfüllten Straßen, man hört Gehupe, ein Mann droht einem Motorradfahrer beim überqueren der Straße wütend mit der Faust, als dieser ihn fast überfährt. Die Leute haben Recht, wenn sie meinen, Tokio würde niemals schlafen. Es gibt keinen Tag im Jahr, an dem die Straßen leer sind. Selbst an Weihnachten nicht. Shizumi stellt den dampfenden Becher neben mich, schnappt sich den nächbesten Hocker und setzt sich darauf. Sein Blick sieht verträumt auf die Straße. Er nippt an seinem Kaffee. „Schon komisch, ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, woanders zu leben.“ Seine Stimme klingt seltsam verzerrt, wenn er so in den Becher spricht. „Den gleichen Gedanken hatte ich auch gerade“, stimme ich ihm zu. „Tokio ist ein Teil von uns.“ „Und wir sind ein Teil Tokios geworden.“ Ich seufze. Er hat mehr Recht, als ich zugeben möchte. Auch noch nach einem Jahr Absenz, gibt es noch genug Menschen hier, die uns auf der Straße erkennen. Genug Mädchen, die verzweifelte Fanbriefe an uns schreiben. Allein Daisuke bekommt etwa 20 Besserungskarten pro Woche ins Krankenhaus. Er liest sie gar nicht mehr. „Steht doch sowieso immer nur dasselbe drinnen. Ich kann dieses naive Gewäsch nicht mehr hören!“ Ich seufze noch einmal. Der heiße Kaffeedampf beruhigt meine Wangen. „Ich glaube lange bleibe ich nicht mehr.“ „Was willst du denn tun?“ „Nach Hause fahren und versuchen dort zu schlafen.“ In der Hoffnung keinen Albtraum zu haben. Außerdem spüre ich das Bedürfnis für mich alleine zu sein. Eigentlich müsste Shizumis Nähe meiner Seele gut tun, aber es schmerzt. Es ist ein Stechen in der Brust, wie ein viel zu enges Korsett, in das ich gezwängt werde. „Na wie du meinst.“ Shizumi räumt die leeren Becher in das Spülbecken. Er steht mit dem Rücken zu mir. „Du weißt, meine Türen stehen immer für dich offen. Mein Freund.“ Ich sehe ihn lächeln. Ein warmes Lächeln, es schenkt mir für einen kurzen Moment ein Gefühl der Geborgenheit. Doch so schnell es aufgetaucht ist, so schnell verschwindet es auch wieder. Ich stehe auf, bereit zum gehen. Shizumi sieht mich erwartungsvoll an, ich bleibe stehen. „Kazu, ich… ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll. Seit gestern Abend schwirren mir so viele Gedanken durch den Kopf. Eigentlich tun sie das schon viel länger. Aber seit gestern ist mir klar geworden, “ seine Stimme stockt, „… mir ist klar geworden, wie groß dieses Loch in deinem Herzen ist. Wie sehr du ihn geliebt hast.“ Er sieht wieder aus dem Fenster. Ich finde es komisch, wie er es instinktiv vermeidet seinen Namen in meiner Gegenwart zu gebrauchen. Es ist als ob ein Fluch darauf liegt. „Wenn ich in irgendeiner Form etwas für dich tun kann, dann sag es mir! Ich weiß, manchmal reagiere ich etwas empfindlich. Erinnere dich nur an unser nächtliches Telefonat! Ich meine das nicht so… jede nur so kleine Sekunde, die wir miteinander verbringen, miteinander reden, diese Zeit ist mir mehr wert als alles andere. Sie bringt mich zu meinen Wurzeln zurück. Sie erinnert mich daran, was wir sind.“ Nun sieht er mir direkt in die Augen. Mein Herz hört für einen Moment auf zu schlagen. „Ich möchte euch nicht verlieren, weder Daisuke noch dich. Ihr seid alles was ich noch habe. Und ich mag es, wenn du mich in der Nacht anrufst…“ Den letzten Satz fügt er leise hinzu. Mir will einfach kein Lächeln gelingen. Ein kläglicher Versuch, Shizumi Mut zu machen. Ich gehe zu ihm, lege stattdessen meine Hand auf seine Schulter. Suche seinen Blick. Er erwidert ihn, erst zögerlich, dann sieht er mich fest an. „Tu mir einfach einen Gefallen: trink nicht soviel.“ Mit diesen Worten drehe ich mich um, lasse diesen Satz im Raum stehen. Die Stimmung ist gekippt, von einem Moment auf den anderen. An der Wohnungstüre schnappe ich mit meine Stiefel, streife sie über und schlüpfe in meine warme Jacke. Als ich mich vergewissert habe nichts vergessen zu haben, rufe ich einen Abschiedgruß in die Wohnung, öffne und schließe die Türe wieder hinter mir. Die frische Luft schlägt mir entgegen und belebt sofort meine Sinne. Obwohl ich so schlecht geschlafen habe, fühle ich mich auf einmal richtig gut und lebendig. Meine Füße tragen mich nur so die Außentreppe des Hauses nach unten und als ich auf dem Gehweg lande, steht der Entschluss zu einem Spaziergang fest. Ich schlendere durch das Viertel, in dem Shizumis Wohnung liegt und wundere mich, wie viel sich in der kurzen Zeit verändert hat. Im Grunde, war es eigentlich keine kleine Zeitspanne, über die ich hier rede. Es war mehr als ein ganzes Jahr, doch durch die ganzen Geschehnisse ist einiges an mir vorbeigegangen. Mein Geist ist in der Zeit stecken geblieben, während mein Körper einfach mit dem Strom mitgerissen wurde. An der nächsten Kreuzung bleibe ich stehen. Als ich das Café an der Straßenecke sehe, bekomme ich plötzlich wieder weiche Knie. Wieso habe ich soviel vergessen? Dabei war es mein größter Wunsch, alles was ich mit ihm verbinde bei mir zu halten, auf ewig. Aber erst jetzt, als ich im inneren des Geschäftes die knallblauen Stühle sehe, da erinnere ich mich wieder an die gemeinsamen Stunden, die wir dort verbrachten. Ich lege eine Hand vorsichtig auf das kalte Glas. Dort hinten in der Ecke, haben wir unseren ersten gemeinsamen Song geschrieben. Es war mehr Spaß als Ernst, vor allem da Daisuke unseren Text sofort zunichte gemacht hätte. Doch wir mussten lachen, es dauerte Stunden bis wir uns wieder einigermaßen beruhigt hatten. Dein Gesicht erscheint vor meinem inneren Auge. Du hältst mit deinem lauten Lachen inne, die Leute sehen uns schon komisch an. Der Ausdruck verändert sich. Auch ich halte inne. „Ist etwas?“ frage ich. Du siehst mich nur weiter an. Ein sanfter Ausdruck liegt auf deinen Gesichtszügen. Du antwortest mir nicht, lächelst nur. Ich bin etwas irritiert, weiß nicht wie ich dein Verhalten zu verstehen habe. Auf einmal tippst du auf den Zettel vor uns auf dem Tisch. Es ist der Text in meiner Handschrift. „Weißt du eigentlich, dass ich diesen Text gar nicht so zum lachen finde?“ Ich erstarre. Es ist lange her, dass ich mich so deutlich an seine Stimmer erinnern kann. Es tut weh, unheimlich weh. Mein geflicktes Herz scheint wieder in alle Einzelteile zu zerspringen, die Wunde platzt unaufhaltsam auf. Ich sehe dich verwirrt an. „Aber warum lachst du dann?!“ Nun verstehe ich gar nichts mehr. Du bist mir einmal mehr ein Rätsel. „Na schau mal. Eigentlich haben nicht wir, sondern DU den Text geschrieben. Ich habe dir nur ein paar mal passende Wörter gesagt, als dir nichts eingefallen ist.“ Du schiebst mir das Blatt vor die Nase. „Außerdem hat das alles einen viel tieferen Sinn, als man im ersten Moment annehmen mag. Jeder Mensch, der dich nicht kennt würde sagen: Was ist das denn für ein Müll?! Vielleicht würden sie noch mehr lachen, als wir gerade eben.“ Ein bedeutsamer Blick in meiner Richtung. „Doch… ich lese viel mehr darin. Ich lese DICH darin.“ Ich bin geschockt und in einem gewissen Grad spüre ich Bewunderung für dich. Wie sooft bringe ich bei einer so großen Überraschung kein Wort hervor. Du grinst mich nur an, weil es mehr als eine ausführliche Antwort für dich bedeutet. „Ich frage mich nur, über wen du sprichst. Das ist die einzige Frage die sich mir bei diesem Text stellt.“ Du stierst nachdenklich auf den Handgeschriebenen Zettel. Suchst nach einer Antwort, denn du weißt genau, dass ich sie dir nicht geben werde. Geben kann. Ich sitze immer noch sprach- und bewegungslos neben dir. „Kazu, manchmal bist du mir echt ein Rätsel.“ Du lehnst dich Kopfschüttelnd nach hinten und verschränkst die Arme hinter deinem Kopf. Ich kann unter deiner Basekap ein neues Piercing an deinem Ohr erkennen. Wann du dir das wohl hast stechen lassen? „Du bist mir genauso ein Rätsel“, gestehe ich. Meine Sprache ist in meinen Hals zurückgekehrt, der Schock ist überwunden. „Wir kennen uns noch nicht wirklich lange und trotzdem scheinst du schon viel zu viel über mich zu wissen.“ Die Wahrheit sprudelt nur so aus mir heraus. „Das liegt einfach daran, dass wir uns sehr ähnlich sind mein Lieber.“ Auf einmal grinst du nicht mehr. Bist du nun ernst- oder tust du nur so? „Wenn wir das wirklich sind, warum kannst du mich dann so gut einschätzen, ich dich aber nicht?!“ es klingt sehr verzweifelt und kläglich, was ich da von mir gebe. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Du lockst mich erneut aus meinen Reserven. „Ja, ja… darüber schimpft Shizumi auch immer.“ Du legst deine Arme wieder auf den Tisch, nippst an deinem Cappuccino. „Wenn ich ganz ehrlich bin: ich weiß es nicht.“ Dein Blick wandert hinaus auf die Straße. Ich kann erkennen, dass deine Augen den Menschen und Autos draußen folgen. „Aber ich muss gestehen, bei dir ist das auch irgendwie etwas besonderes. Ich kann Shizumi zwar auch einschätzen und zu einem gewissen Grad sogar Daisuke, einfach weil wir drei uns schon lange kennen, doch du… manchmal habe ich Angst, weil es mir häufig so vorkommt, als könnte ich deine Gedanken lesen.“ In diesem Moment scheint mein gesamter Körper Achterbahn zu fahren. Mein Bauch rumort, als wäre ein Vulkan darin ausgebrochen und mein Herz schlägt, wie das eines Athleten. Nur das es etwas irritiert gegen den Brustkasten schlägt und ich das Gefühl habe, es möchte am liebsten aus meinem Mund springen. Ich presse die Lippen fest zusammen und hoffe inständig, dass du nichts bemerkst. Aber dein flüchtiger Blick zu mir, verrät mir nicht, ob ich es geschafft habe, dir in diesem Moment meine Reaktion zu verheimlichen. Es ist sowieso schwierig für mich, deinen Gesichtsausdruck einzuschätzen. „Das… das freut mich sehr zu hören!“ Diese Worte sind untertrieben, aber ich weiß nicht, was ich sonst erwidern könnte. Du nickst mir nur zu. Schweifst wieder mit dem Blick auf die Straße. Wahrscheinlich denkst du nach. Ich trinke meinen Kaffee aus, bin versunken in meinen eigenen Gedanken, beziehungsweise Verwirrungen. Der Text liegt vor mir auf dem Tisch. Er wird nie an die Öffentlichkeit gelangen. Niemand wird ihn je kennen, nur du und ich. Du und ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)