Perfect von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: T W O ---------------- Der Besuch bei Daisuke endet wie so viele vorher in Schweigen. Nach etwa einer Stunde, in der keiner von uns ein weiteres Wort verliert, bittet der Oberarzt der Station Shizumi und mich zu gehen. Wir willigen ohne zu zögern ein. Unsere Gegenwart liegt wie ein schweres Parfum in dem kleinen Zimmer und hilft Daisukes herzen nun auch nicht mehr. Wir können die zerbrochenen Puzzleteile nicht mehr zusammenfügen. Niemand kann es. Niemand wird es je können- Es ist vorbei, das fällt mir einmal mehr auf. Auf dem weißen Gang, der mit grellen Neunröhren beleuchtet wird, bleibt Shizumi plötzlich vor mir stehen und sieht mich eindringlich an. „Willst du vielleicht noch mit zu mir kommen?“ Ich blicke ihn verwundert an. „Wie?!“ „Na ein bisschen über alles hier reden“. Das war das Letzte, was ich an diesem tag erwartet hätte. Mein Gesichtsausdruck scheint Bände zu sprechen, denn Shizumi grinst mich an und stößt mich neckisch an der Schulter. „Na komm schon, ich beiße auch nicht zu fest.“ Ich kann nichts erwidern, die Worte stecken in meinem Hals fest. Sie schnüren meine Kehle zu, lassen nicht zu, dass mein Gehirn genug Sauerstoff zum denken bekommt. Die Zeit scheint still zu stehen. Festgefroren. Ich starre Shizumi nur weiter entgeistert an. Versuche mich zu erinnern, wann wir das Letzte mal bei ihm gewesen waren. Das war eine Ewigkeit her! Shizumi packt mich am Arm und reißt mich aus meinen melancholischen Gedankenzügen. „Du kommst einfach mit. Und schau mich nie wieder so geistesgestört an, da bekommt man ja Angst.“ Den ganzen Weg bis zu seiner Wohnung sprechen wir kein Wort. Wir treffen eine Gruppe von Mädchen, die Shizumi zu kennen scheint, denn er wechselt ein paar Worte mit ihnen. Ich stehe nur daneben und werde interessiert gemustert. Nach ein paar Minuten verabschiedet sich Shizumi wieder von ihnen, die Mädchen ziehen kichernd ab und ich kann ihre Blicke, die sie über die Schulter werfen wie Nadelstiche in meinem Rücken spüren. Ich werde weitergezogen. Die Abendluft ist kalt. Weiße Dampfwölkchen bilden sich vor unseren Gesichtern. Ich weiß nicht, wie mich meine kraftlosen Füße überhaupt soweit tragen können. Mein Geist scheint in eine Art Trance gefallen zu sein. Ich erwache erst aus dieser geistigen Erstarrung, als Shizumi die Tür zu seiner Wohnung aufschließt und mir ein bekannter, warmer Geruch entgegenschlägt. Immer noch schweigend werfe ich meine Jacke auf die Couch und setze mich darauf. Shizumi verschwindet in der Küche und kommt mit zwei Cocktailgläsern wieder. Dann geht er zum Schrank, gegenüber von mir und holt Whiskey daraus hervor. Er schenkt zwei großzügige Schlucke in die Gläser, stellt die Flache ab und reicht mir eines. Ich nehme es an. Trinke. Der hochprozentige Alkohol rinnt meine ausgetrocknete Kehle hinunter und hinterlässt ein angenehmes Brennen. Ich huste. „Du musst unbedingt wieder unter Leute!“ Die Stille wird gebrochen. Es ist unerträglich. „So kann das nicht weitergehen Kazu. Früher, da hast du gestrahlt. Eine Ruhe, eine Gelassenheit.. Coolness.“ Shizumi schwenkt den letzten Schluck Whiskey in seinem Glas und kippt diesen schließlich mit einem Zug hinunter. „Man, “ er sieht mich wieder an, „lass dich nicht so hängen. Es reicht schon wenn es Daisuke so beschissen geht. Verbau dir nicht dein Leben. Dein Talent. Such dir eine andere Band, spiele Bass und erfülle dir deinen Traum!“ Ich runzele die Stirn. „Ich glaube du stellst dir das alles ein bisschen ZU einfach vor.“ Mein Herz gleicht einem Klumpen Stein. „IHR seid, beziehungsweise WART mein Traum verdammt!“ Ich breche ab, den Tränen nahe. Es gibt kein hier und jetzt, es gibt keine Zukunft, in meiner Gedankensuppe schwimmen nur noch Stücke der Vergangenheit, die mich am Leben halten. Erinnerungen an ihn. Ich wende meinen Blick ab. Shizumi schweigt betreten. Ich hole tief Luft und sammele einen klaren Gedanken. „Mein lieber Freund, sieh uns doch an. Sieh an, was aus jedem einzelnen von uns geworden ist.“ Ich schließe die Augen, schüttele schließlich den Kopf. „Ich glaube es ist schon längst zu spät um etwas ändern zu können. Wir verrotten. Wie altes Holz. Unsere Wurzeln sind tot.“ „Nichts ist mehr zu retten?!“ Shizumi klingt nach einem Kleinkind, das endlich verstanden hat, dass man nicht auf heiße Herdplatten fassen sollte. „Ja verdammt!“ Ich seufze. „Das glaube ich nicht.“ „Shizumi sei nicht so scheiße naiv!“, langsam regt mich seine Art auf. Ich wende meinen Kopf und fixiere ihn. „Dieses Zeug hier“, ich nehme die Whiskeyflasche vom Tisch und schwenke damit vor seiner Nase umher „das macht DICH kaputt. Du merkst es nicht einmal. Hat es schon so viele Zellen in deinem Kopf zerstört, dass du deine Sucht gar nicht siehst?“ Ich tippe bei diesen Worten gegen meine Schläfe. „Warum willst du, dass ich MEIN Leben ändere, wenn du es dir genauso ruinierst? Was ist mit DEINEM Traum?“ Als ich seinen hilflosen Ausdruck in den Augen sehe, da tut es mir fast wieder Leid. Shizumi war in manchen Dingen immer wie ein Kind gewesen. Und ich habe diesem naiven Lebewesen gerade seinen Lolli aus der Hand gerissen. Ich stehe auf. „Es gibt kein vorwärts, kein rückwärts.“ „Unsere leben sind eingefroren. Und das bleiben sie auch, bis wir es schaffen uns selbst zu zerstören.“ Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Ich flüstere nur noch „Kagerou“ und breche in Tränen aus. Shizumi steht auf und nimmt mich in den Arm. Die Tränen laufen heiß über meine Wangen und tropfen auf den Boden. Ich weiß nicht wie lange wir dort so stehen. Mein ganzes Zeitgefühl kommt durcheinander. Shizumi streicht mir sanft über den Rücken, hält mich fest, beschützt mich vor meinen eigenen Gefühlen. Bilder tauchen in meinem Kopf auf, sein Lächeln, seine Hand die Meine hält, die schwarze Fendergitarre dort in seinem Zimmer. Staubig und verlassen. Ich sehe Daisukes leidendes Gesicht, ich spüre seine knochige Schulter unter meinen Fingern, seine traurigen Augen blicken mich an. Und schließlich nehme ich Shizumis Geruch war. Eine Mischung aus Rauch, Parfum und Whiskey. Seinen Atem direkt neben meinem Ohr. Ich höre leise seinen Herzschlag, als ich meinen Kopf gegen seine Brust lehne. Ich schließe die Augen, beruhige mich langsam. Konzentriere mich auf das monotone Ticken der Uhr im Zimmer. „Sch… ist gut.“ Shizumi streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich schlinge meine Arme nur noch fester um seinen Körper. „Du kannst heute Abend hier schlafen, ich denke das ist das Beste.“ Ich nicke. Halte ihn weiter fest. Meine größte Angst ist es in diesem Moment alleine zu sein. Die ganzen Eindrücke prasseln auf mich nieder, sie vernebeln meine Wahrnehmungen; ich kann kaum unterscheiden was Realität und Erinnerungen sind. Mein Mund ist wieder trocken, dennoch würge ich etwas hervor. „Ich vermisse ihn“ Nach einer halben Ewigkeit füge ich hinzu: „Mehr als alles andere“. Der Abend hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Doch das habe ich geahnt. Ich weiß es war keine gute Idee Shizumi so nah an mich heranzulassen. Es ist dumm ihm meine Verletzlichkeit zu offenbaren, er macht sich so nur noch mehr Sorgen. Dabei will ich IHN eigentlich beschützen. Er ist immer der Naivste und Unerfahrenste von uns alles gewesen. Ob es nun um Alkohol, Drogen oder um Frauen ging, immer hatte einer von uns ein Auge auf ihn. Nun bin ich derjenige auf den man aufpassen muss. Ich sollte zugeben, ich bin Shizumi wirklich dankbar, dass er nach meinem Zusammenbruch für mich da ist. Aber im Grunde will ich ihm das nicht zumuten. Nicht in dieser Situation. Es ist eine große Dummheit zu glauben, ich könnte alles mit mir selber ausfechten. Ich brauche Hilfe, das ist klar. Aber nicht von Shizumi, genauso wenig wie von Daisuke. Die beiden fechten ihre eigenen Kriege mit sich selbst. Und ich behindere diese Gefechte gewaltig. Letztendlich übernachte ich bei unserem ehemaligen Drummer. Es ist, als ob die ganzen hochgekommenen Erinnerungen meinem ganzen Körper seine Energie entzogen hätten. Ich hatte nur die paar Schlucke Whiskey getrunken, trotzdem fühle ich mich schrecklich. Wahrscheinlich liegt es nicht am Alkohol, sondern an meiner inneren Verfassung. Ein Wrack. Mit großen tiefen Löchern, die den Kahn auf hoher See in Not brachten und ihn schließlich in die Tiefe ziehen. Langsame Verrottung. Bis nichts mehr übrig bleibt. Bis zum bitteren Ende. Shizumi bringt mich ins Bett. Er stütz mich, treibt meine müden Glieder an. Wir sprechen kein Wort mehr miteinander. Er setzt mich auf die Bettkante, geht schließlich zu seinem großen Kleiderschrank. Ich sehe mit verklärtem Blick wie er in ihm etwas sucht. Er kommt zurück, hält eine warme Decke in den Händen, legt sie mir um die Schultern. Ich erkenne ein müdes Lächeln in seinem Gesicht. Meine Haut spannt vom Weinen. „Schlaf heilt Wunden. Leg dich hin und mach die Augen zu, ich räume noch etwas auf.“ Er geht aus dem Zimmer. Ich lasse mich auf die weiche Matratze fallen. Shizumi hatte schon immer eine Vorliebe für europäische Einrichtung, das hohe Bett ist ungewohnt für mich. Eingerollt liege ich, schlinge die Decke um meinen zitternden Körper. Ich fühle mich mehr tot als lebendig, dieser Abend ist wirklich einer der Schlimmsten der vergangenen Wochen. Wo vor einiger Zeit Resignation und Gleichgültigkeit Einzug hielten, scheinen nun die Gefühle wieder Oberhand zu gewinnen. Shizumi kehrt zurück. Meine Augen sind geschlossen, aber ich höre wie er sich sein T-Shirt auszieht. Das weiche Rascheln seiner Kleidung verrät ihn. Ein paar schritte von nackten Füßen auf dem Parkett. Dann spüre ich, wie sein Gewicht die Matratze sanft nach unten drückt. Ich drehe ihm mein Gesicht zu, öffne die Augen. Shizumi sieht mich stirnrunzelnd an. „Es kommt mir wie Jahrzehnte vor, dass wir so offen miteinander gesprochen haben.“ „Nicht nur dir“, flüstere ich. Meine Zunge liegt schwer in meinem Mund. „Schlaf jetzt.“ Shizumi dreht sich von mir weg, liegt nun mit dem Rücken zu mir. Ich habe Angst zu schlafen. Die Albträume verfolgen mich, sie kommen immer wieder. Jedes Mal wache ich schreiend und schweißgebadet auf. Es sind keine Träume von schrecklichen Monstern, oder anderen menschenfressenden Kreaturen. Es sind Träume, in denen ich falle. Ohne Halt. In einen tiefen schwarzen Abgrund. Die Hand, die mich früher vor diesem Abgrund bewahrte, meine Stütze in schwierigen Zeiten, sie ist verschwunden. Auf ewig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)