A Commodore's Fairytale von -HarleyQuinn- (Pirates of the Caribbean - The Norrington-Way) ================================================================================ Vor den Trümmern eines ehrbaren Lebens -------------------------------------- Am nächsten Morgen erwachte Norrington zum ersten mal seit Monaten ausgeruht und ohne das ihm jeder Knochen im Körper schmerzte. Ein Diener brachte ihm das Frühstück mit einer Nachricht von Lord Beckett, dass er sich am Nachmittag in seinem Büro einzufinden hatte. Wahrscheinlich wollte er ihm mitteilen, was sein erster Auftrag sein sollte. Hungrig machte er sich über das Essen her und füllte seine Tasse mit heißem Tee, viel Milch und noch mehr Zucker. So musste schwarzer Tee sein. Englisch, nicht indisch. Nachdem er nun ausgiebig gefrühstückt , sich gewaschen und angezogen hatte, empfand er sich selbst wieder als halbwegs annehmbarer Mensch. Seine alte Uniform war zwar nach wie vor zerschlissen, sein Haar zu lang und sein Bart immer noch ungestutzt, aber er stank nicht mehr 10 Meilen gegen den Wind und wirkte alles in allem ausgeruhter und frischer. Mit neuem Elan machte er sich auf, um die Stadt zu erkunden. Er hatte zwar kaum Geld in den Taschen, aber immerhin noch den wenigen Schmuck, den er aus Davy Jones Truhe gestohlen hatte. Diesen wollte er auf dem Markt zu Geld machen, in der Hoffnung, dass er vielleicht ein paar Goldmünzen dafür bekam. Außerdem stand auf seinem Tagesplan eine Inspizierung seines Hauses. Doch musste er sich ehrlich eingestehen, dass er etwas Angst davor hatte. Er wusste nicht, was ihn erwarten würde, hatte viel Herz in sein Heim gesteckt und dieses schmerzte ihm jetzt schon, bei den Gedanken, vielleicht alles in Trümmern vorzufinden. Aber erst einmal führte ihn sein Weg von Fort Charles durch die engen Gassen Port Royals zum Marktplatz in der Queens Street. Er schlenderte langsam die Straße entlang, begutachtete die feil gebotenen Waren und genoss es sichtlich, wieder unter ehrbaren Menschen zu sein. Keine Piraten und Seemonster weit und breit. Er machte bei einem Tuchmacher halt und überlegte beim Anblick der Stoffe, ob es nicht an der Zeit wäre, in neue Kleidung zu investieren, als ihm die merkwürdigen Blicke der Passanten auffielen. Man musterte ihn von oben bis unten und tuschelte hinter vorgehaltener Hand. Erst konnte er nicht wirklich einschätzen, was an ihm so auffällig sein sollte, doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Immerhin war er noch vor gut einem halben Jahr Commodore dieser Stadt gewesen und somit ein bekannter und angesehener Mann. Man hatte ihn also erkannt und zerriss sich nun das Maul darüber, was aus dem einst so arroganten und ehrgeizigen Mann geworden war. Hochmut kommt vor dem Fall, wie man so schön sagt. Beschämt verließ er eilig den Stand des Tuchmachers und zog weiter seiner Wege. Bei einem Trödler versetzte er die zwei gestohlenen Ringe und bekam dafür immerhin 20 Goldstücke. Damit ließ es sich schon ganz gut leben. Außerdem hatte er ja noch die Perlenkette, aber die wollte er sich vorerst aufsparen, da der Trödler nicht den Eindruck erweckte, dass er den vollen Wert des Schmuckstückes zu zahlen bereit war. Etwas weniger entspannt als noch vor ein paar Minuten schlug er den Weg Richtung Osten ein, die Queens Street entlang und an der Gouverneurs Mansion vorbei. Er warf einen kurzen Blick auf den Wohnsitz des Gouverneurs und Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen, die er schnell wieder in die hinterste Ecke seines Gedächtnisses verbannte. Hier lebte kein Gouverneur Swann und hier lebte erstrecht auch keine Elizabeth Swann mehr. Voraussichtlich würde sie das nie wieder tun, selbst wenn sie eines Tages zurückkehren sollte. Er hätte sich dafür ohrfeigen können, dass er überhaupt einen Gedanken an sie verschwendete, beschleunigte seinen Schritt und eilte weiter die Straße entlang an der Old Church vorbei und bog in eine kleine Gasse ab. Hier reihte sich eine Stadtvilla an die andere. In den Vorgärten blühten farbeprächtige Blumen und hohe Palmen spendeten Schatten. Das Viertel der höheren Gesellschaft Port Royals. In seiner zerlumpten Uniform fühlte er sich schrecklich fehl am Platze. Dabei hatte er einst dazu gehört. Aber nun schien es auf einmal Äonen zurück zu liegen. Und dann am Ende der Straße sah er es. Sein Heim, in dem er die letzten 8 Jahre gelebt hatte. Von weitem schien alles unverändert. Als wäre er nie fort gewesen. Doch bei näherer Betrachtung war der Garten ungepflegt und überwuchert. Die Fensterscheiben waren zum Teil eingeschlagen und die Haustür war mit Brettern vernagelt worden. Er verharrte einen Moment an dem schweren Eisentor, hinter dem der Weg zum Haus lag. Er ließ die Hände über die kunstvoll verzierten Eisenstäbe gleiten und schob das Tor dann mit sanftem Druck auf. Quietschend gab es nach und den Weg zum Haus frei. Norrington zögerte. War er wirklich schon bereit, sich den Geistern zu stellen, die in diesem Hause spukten? Er seufzte schwer und wagte den ersten Schritt. Der Sand unter seinen Sohlen knirschte leise als er sich auf die Haustür zu bewegte. Er betrachtete die Säulen, die den Eingang zierten und langsam von wildem Efeu zuzuwuchern drohten. Er erklomm die 5 Stufen zur Tür mit so schweren Schritten, als hätte er den höchsten Berg der Welt zu besteigen und blieb mit klopfendem Herzen vor der zugenagelten Tür stehen. Wieder zögerte er, legte dann beide Hände an das oberste Brett und zog kräftig daran. Er stemmte einen Fuß gegen den Türrahmen und mit einem neuerlichen kräftigen Ruck löste sich das Brett und er warf es achtlos zu Boden. So löste er ein Brett nach dem anderen und hatte innerhalb kürzester Zeit die Tür freigelegt. Mit vor Anstrengung geröteten Wangen und leise schnaufend legte er nun vorsichtig eine Hand auf die Messingklinke der Tür und strich darüber, als wäre es die zarte Haut einer Geliebten. „James Norrington, reiß dich zusammen!“, sagte er sich selbst in Gedanken und drückte die Klinke herunter. Die Tür sprang auf und gab den Blick in die Empfangshalle frei. Norrington rang mit sich und wagten dann den Schritt über die Schwelle. Stickige, schwüle Luft schlug ihm entgegen. Es roch abgestanden nach Staub und Asche. Normalerweise wäre ihm jetzt ein livrierter Diener entgegen geeilt, hätte ihm den Staub der Straße von seiner Kleidung geklopft und nach seinen Wünschen gefragt. Doch das Haus war verlassen. Seine Dienerschaft hatte wohl schon vor Monaten das Weite gesucht. Wer konnte es ihnen verübeln? Er sah sich um. Nichts war mehr an seinem Platz. Die Standuhr links von der Tür war verschwunden, genau so wie die kostbaren Kandelaber an den Wänden. Dort wo einst die antike Holzkommode, welche er aus England mitgebracht hatte, stand, war nur noch ihr Umriss an der vergilbten Wandvertäfelung zu erkennen. Sein Blick wanderte weiter durch die Halle. Zu seiner rechten führte ein Raum in die Haushaltsräume, wie Küche, Vorratskammer und Kellerabgang. Zur linken befand sich der Flur zu den Gesinderäumen. Der Garten hinter dem Haus war zu klein, um ein eigenes Gesindehaus dort zu erbauen. Geradeaus befand sich die große Flügeltür zum Salon und die geschwungene Treppe zum ersten Stock des Hauses. Norrington beschloss, zuerst den unteren Teil der Villa zu inspizieren. Die Gesinderäume waren vollkommen leer geräumt. Auch in der Küche stand nicht mehr viel, abgesehen vom Kachelofen, der ohnehin in die Wand eingelassen war und dem schweren schwarzen Herd. Er wollte gerade die Tür zum Vorratsraum öffnen, als ihm schon aus einiger Entfernung ein scheußlicher, fauliger Gestank entgegenschlug. Offenbar hatte es niemand für nötig gehalten, die dort gelagerten Lebensmittel zu entsorgen. Norrington entschied, dass er sich diese Katastrophe für einen späteren Zeitpunkt aufheben wollte und widmete sich lieber dem Salon. Auch dieser war vollkommen leer geräumt. Er ging langsam durch den großen, leeren Raum und seine Schritte hallten an den Wänden wieder. Auch hier waren die Scheiben eingeworfen und die Tür zur Terrasse war aufgebrochen. Die zerrissenen Vorhänge wehten leicht im Wind und gaben den Blick auf den ungepflegten Garten frei. Und mit der leichten Brise wehte ein neuerlicher Schwall Erinnerungen herein. Er glaubte, Elizabeth leise Schritte fast auf dem Parkett hören zu können. Sah ihre zierliche Gestalt förmlich vor sich, wie sie in Begleitung ihres Vaters langsam durch den Salon Schritt und mit graziösen Bewegungen in einem der nicht mehr vorhandenen Sessel Platz nahm. Wetherby hatte sie mehr als ein mal dazu überredet, ihn bei seinen Besuchen hierher zu begleiten und Norrington wusste genau, wie sehr sie es hasste, den beiden Männern bei ihren Gesprächen über Politik und Wirtschaft zuzuhören. Aber sie lächelte stets ihr bezauberndes Lächeln, welches ihn noch bis heute völlig gefangen nahm. Da waren sie also. Die Geister vor denen er sich eben vor dem Tor noch gefürchtet hatte. Der Gedanke an Elizabeth versetze ihm einen Stich im Herzen. Eigentlich hatte er doch schon damals gewusst, das sie nicht für einander bestimmt waren. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er war fast 15 Jahre älter, als die junge Frau. Aber er konnte sich nicht gegen ihren Charme und ihre von Tag zu Tag immer mehr aufblühende Schönheit wehren. Wer dachte schon rational, wenn es um die Liebe ging? Eilig verließ er den Salon und floh vor der Flut an Erinnerungen, die von ihm Besitz ergreifen wollten. Er widmete sich nun dem oberen Stockwerk. Hier befanden sich sein Schlafzimmer mit angrenzendem Ankleideraum und Balkon, ein Gästezimmer ebenfalls mit Balkon, zwei Bäder und eine Bibliothek, die ihm als Arbeitszimmer diente. Langsam erklomm er die Treppe. Oben angekommen blickte er den langen Korridor entlang, der Zugang zu den einzelnen Zimmern bot. Die erste Tür führte zum Arbeitszimmer. Sie stand offen und der einstmals weiße Türrahmen war mit Ruß überzogen. Das verhieß nichts Gutes. Als er in das Zimmer spähte, entfuhr ihm ein langer tiefer Seufzer. Das Zimmer war nicht vollkommen leer. Die großen schweren Eichenregale standen noch an Ihrem Platz, aber sämtliche Bücher die er ein Leben lang gesammelt hatte, waren fort. Das hieß... nicht ganz. Überall im Raum waren Berge von Asche verstreut. Er schluckte schwer und musste nicht lang überlegen, was wohl passiert sein mochte. Wer immer sein Haus geplündert haben mochte, er hielt nicht viel von Wort und Schrift und hatte es offensichtlich vorgezogen, sämtliche Bücher in Rauch aufgehen zu lassen. Aber abgesehen von den Regalen und dem Haufen Dreck war auch dieser Raum geplündert worden. Sein schöner Schreibtisch mit den Intarsien und den kunstvoll geschnitzten Beinen war weg. Der Stuhl, die Schränke, sogar der alte, ohnehin schon kaputte Globus, die Lüster an den Wänden... alles weg. Doch halt! Da lag etwas. Ein Bilderrahmen war von der Wand gerissen und achtlos zu Boden geworfen worden. Noch bevor Norrington die Asche fortgewischt hatte, wusste er schon, um welches Bild es sich handelte. Es war ein Portrait seiner Eltern, die er vor fast 10 Jahren in England zurückgelassen hatte. Er hob es auf, lehnte es gegen die Wand und nahm sich vor, es bei nächster Gelegenheit zu säubern und wieder an seinen Platz zu hängen. Norrington setzte seinen Weg fort, inspizierte die Badezimmer, welche beide genau so leer waren, wie auch schon der Rest des Hauses. Die Kacheln waren hier und da beschädigt worden. Scheinbar hatte jemand versucht, sie herauszubrechen in der Hoffnung, dass man sie verkaufen könnte, musste dann aber wohl festgestellt haben, dass sie dabei nur zerbrachen. Zum Schluss kam das Schlafzimmer dran. Auch hier bot sich das selbe Bild. Ein vollkommen leerer Raum, zerschlagene Fenster, heruntergerissene Vorhänge und sonst nichts, nichts und wieder nichts. Mit gerunzelter Stirn betrachtet Norrington die hölzerne Wandvertäfelung. Sie sah unbeschädigt aus, was heißen musste, dass noch etwas da sein musste. Er ging zu einer bestimmten Stelle gegenüber des Fensters, legte sein Ohr gegen die Wand und klopfte die Vertäfelung ab. Da war die Stelle! Mit sanftem Druck löste er eine der Platten und legte einen Hohlraum in der Wand frei. Darin verstaut lag eine kleiner Ebenholztruhe mit Silberbeschlägen. Er wischte die Spinnenweben bei Seite, hob die Truhe aus ihrem Versteck und pustete den Staub vom Deckel. Er ließ sich auf den Boden sinken, stellte die Truhe vor sich und zog seinen Degen. Die kleine Truhe war mit einem Schloss gesichert, dessen Schlüssel er wie alle seine anderen Schlüssel verloren hatte. Diese hatte er sicher in der Kapitänskajüte der Dauntless aufbewahrt, kurz nachdem sie die Verfolgung Sparrows aufgenommen hatten. Und die Dauntless lag nun kurz vor Tripoli auf dem Meeresgrund. Ihm blieb nichts anderes über, als das Schloss mit seinem Degen aufzubrechen. Mit sanfter Gewalt machte er sich an dem Schloss zu schaffen, bis es nachgab, öffnete die Truhe und entnahm ihren Inhalt: Besitzurkunden, Zertifikate der Marineakademie, persönliche Unterlagen und eine kleine Schmuckschatulle. In der Schatulle befanden sich teure goldene Manschettenknöpfe, ein paar Familienerbstücke, die seine Mutter ihm kurz vor seiner Abreise nach Port Royal überließ und ihn immer an seine Herkunft erinnern sollten, eine Hand voll alter Marineabzeichen und Verdienstorden und ein weiteres kleines Kästchen. Norrington musste es nicht öffnen, um zu wissen, was sich darin befand. Ein weiterer Geist, der ihn heimsuchen wollte. Einen Moment starrte er das Kästchen einfach nur an. Er kämpfte gegen die Flut der Erinnerungen an, verlor diesen Kampf aber kläglich, als er das Kästchen öffnete und mit zitternden Fingern die 2 schlichten goldenen Ringe berührte, die sich darin befanden. In den kleineren von beiden waren 3 Diamantsplitter eingelassen, die im Licht der Sonne funkelten. Eheringe, die wohl niemals jemand tragen würde. Norrington hatte sie anfertigen lassen, noch bevor er Elizabeth seinen Antrag gemacht hatte. Er erinnerte sich noch wie heute daran, als er immer und immer wieder die Formulierung seines Antrages durchgegangen war. Hunderte Male hatte er diese kleine Rede geübt, sie umgeschrieben, wieder völlig verworfen, um sie dann doch wieder aufzunehmen. Und letztendlich stand er stammelnd und zitternd vor ihr, brachte die Worte nur stockend heraus und schaffte es nicht einmal, Elizabeth dabei anzusehen. Er war so nervös, dass ihm sogar entgangen war, wie blass und elend sie aussah. Wie sie um Atem rang, plötzlich ohnmächtig wurde und, nicht mehr Herr ihrer Sinne, über das Geländer der Festung ins Meer hinabstürzte. Nein, so hatte er sich seinen Antrag nun wirklich nicht vorgestellt. Immer wieder hatte er sich ausgemalt, wie es hätte sein sollen. Wie sie ihn mit ihrem Lächeln verzauberte, leise seinen Namen hauchte und ihm vor Freude um den Hals fiel. Dann wäre Weatherby zu ihnen gestoßen, hätte ihm freundschaftlich auf die Schulter geklopft und ihn in der Familie willkommen geheißen. So wäre es richtig gewesen. Aber nichts von alledem war jemals geschehen. Im Gegenteil. Nach diesem verhängnisvollen Antrag überschlugen sich die Ereignisse und Norrington sollte keine Ruhe mehr finden. Energisch ließ er das Kästchen zuschnappen und verbannte mit dieser Geste den Seelenschmerz aus seinem Herzen, so gut er konnte. Er verstaute alles wieder in der Truhe, verbarg diese wieder in dem Hohlraum in der Wand und brachte die Holzplatte wieder an. Noch einmal lies er seinen Blick durch den leeren Raum schweifen, nahm sich vor, alles wieder herzurichten, sobald seine Finanzlage sich verbessert hatte und verließ dann das Haus. Es war mittlerweile schon Mittag. Norrington hatte noch gut zwei Stunden Zeit, bis er bei Beckett sein sollte. Er überlegte, wie er sich bis dahin sinnvoll die Zeit vertrieb. Langsam schlenderte er die Straße entlang in Richtung Marktplatz. Ihm kamen wieder die Blicke in den Sinn, die man ihm zugeworfen hatte und entschied, dass es keine schlechte Idee wäre, das Badehaus von Port Royal aufzusuchen. Er hatte sich zwar am Morgen gewaschen, aber mit dem bisschen Wasser in der Waschschüssel war dies eher notdürftig ausgefallen. Gesagt, getan. Er genoss in besagtem Badehaus eine ausgiebige Wäsche, lehnte aber die ihm angebotene Massage dankend ab. Jeder wusste schließlich, was sich hinter dem Wort Massage tatsächlich verbarg und obwohl Prostitution in Port Royal nicht gern gesehen wurde, duldete man die Aktivitäten in den Hinterzimmern des Badehauses stillschweigend. Er selbst hatte bisher nie Dienstleistungen dieser Art in Anspruch genommen, kannte aber genug wohl situierte und angesehene Herren, die regelmäßig diese Örtlichkeiten aufsuchten. Jeder nach seiner Fasson, dachte er bei sich, befand aber, dass man sein hart verdientes Geld besser investieren konnte, als in kurzweiliges Vergnügen. Geschniegelt und gebügelt mit ordentlich zurückgebundenem Haar und gekämmten, aber immer noch ungestutzten Bart machte er sich nun auf dem Weg zu Lord Beckett. Besser zu früh, als zu spät, dachte er sich. In Fort Charles wurde Norrington von zwei Wachen zu Becketts Büro begleitet und gebeten, vor der Tür zu warten. Minuten vergingen. Als aus Minuten schon fast eine halbe Stunde wurden, tigerte Norrington bereits auf und ab und warf immer wieder gereizte Blicke auf die schwere Eichentür. Wenn er etwas hasste, dann warten. Es vergingen weiter 15 Minuten bis sich die Tür endlich öffnete und Lord Beckett ihn zu sich herein bat. Norrington verbiss sich den bitteren Kommentar, der ihm auf der Zunge lag und folgte dem kleinen Mann schweigend zu seinem Schreibtisch. Beckett deutete lächelnd auf ein in Leinentuch geschnürtes Packet, dass auf dem großen Schreibtisch lag und sagte in feierlichem Ton: “Willkommen zurück in Amt und Würden, Admiral Norrington. Verzeiht, dass es dieses mal keine große Zeremonie zur Beförderung gibt. Dafür fehlt uns die nötige Zeit. Aber ich denke, dass hier wird Euch dafür entschädigen.“ Er schob das Paket auf Norrington zu. Norrington hob skeptisch eine Augenbraue, griff nach dem Paket und öffnete es. Er staunte nicht schlecht, als eine nagelneue Uniform zum Vorschein kam. Die Uniform eines Admirals der Royal Navy. Noch bevor er etwas sagen konnte, erhob Beckett wieder das Wort. „Die Stiefel stehen übrigens dort drüben. Ich würde vorschlagen, wir besprechen erst einmal Euren Auftrag und dann könnt Ihr die Sachen anprobieren. Wenn etwas geändert werden muss, lasst es mich wissen und ich werde einen Schneider beauftragen.“ Mit diesen Worten nahm er hinter dem Schreibtisch platz, schob einen Stapel Papiere bei Seite, der ihm fast die Sicht versperrte, bot Norrington einen Stuhl an und faltete dann die Hände auf dem Tisch. Norrington zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, noch immer sprachlos darüber, dass es mit der Beförderung nun tatsächlich so schnell gegangen war. Er legte die Kleider auf seinen Schoß, hielt sie fest, als könnten sie sich jeden Moment in Luft auflösen und sah Beckett erwartungsvoll an. Der Lord nahm ein Schreiben von dem Stapel und hielt es Norrington entgegen. „Dies, verehrter Admiral ist im übrigen das offizielle Beförderungsdokument. Hebt es gut auf. Ihr wisst ja, Bürokratie. Die wird uns eines Tages noch ruinieren.“ Beckett schmunzelte. Norrington erkannte sofort die Unterschrift des Gouverneurs Swann. Entweder hatte sie jemand ausgesprochen glaubwürdig gefälscht, oder der Gouverneur war noch am Leben, wurde jedoch von Becketts Schergen gefangen gehalten. Ihm brannte die Frage nach dem Befinden des Gouverneurs unter den Nägeln, entschied aber, dass der rechte Zeitpunkt noch nicht gekommen war. Er nahm das Dokument an sich und schob es in die Innentasche seiner Jacke. „Also, Admiral Norrington, kommen wir zum Geschäft. Im Hafen liegt ein Schiff, dass darauf wartet, von Euch befehligt zu werden. Die „Intrepid“. Sie ist nicht so imposant, wie Eure „Dauntless“ oder die „Interceptor“, wird uns finanziell dafür aber auch weniger weh tun, solltet Ihr mal wieder ein Schiff verlieren.“ Norrington rollte innerlich mit den Augen. Diese Spitze hätte sich Beckett gerne schenken können, aber er nahm es hin, wie ein Gentleman und lächelte professionell. Freundlich erwiderte er: “Ich danke für Euer Vertrauen in mich. Und was soll ich für Euch mit diesem Schiff tun? Ihr spracht von einem Auftrag“ „Sehr richtig, mein Lieber.“ Beckett klopfte auf das Holzkästchen, in dem das Herz von Davy Jones pochte. „Wir werden eine kleine Reise unternehmen und den Besitzer dieses Organs suchen. Ich bin überzeugt, dass man mit ihm hervorragend verhandeln kann, wenn man sich im Besitz dieses Kleinodes befindet.“ Beckett grinste breit wie ein Haifisch und Norrington lief es eiskalt den Rücken herunter. Sonderlich angetan war er nicht gerade von der Idee. Was wenn Beckett sich irrte? Diese Reise konnte gefährlicher werden, als alles, was er bisher überlebt hatte. Aber hatte er eine Wahl? Beckett hatte ihn in der Hand und war Herr über sein Schicksal. Also nickte Norrington zustimmend. „Wir werden noch heute in See stechen. Solltet Ihr also noch etwas zu erledigen haben, dann tut es jetzt. Ich erwarte Euch heute Abend pünktlich um 6 Uhr am Hafen. Ihr seid entlassen.“ Mit diesen Worten komplimentierte Beckett Norrington hinaus. Die schwere Eichentür schloss sich hinter ihm und Norrington sah sich etwas ratlos um. Das war nicht gut. Die ganze Situation war ganz und gar nicht gut. Ein schwerer Seufzer entfuhr ihm, als er gemessenen Schrittes in Richtung seines Quartiers ging. Im Geiste spielte er seine Möglichkeiten durch und kam zu dem Schluß, das ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als sich Becketts Willen zu beugen. In seinem Zimmer angekommen breitete Norrington feierlich seine neue Uniform auf dem schmalen Bett aus. Er entledigte sich hastig seiner alten Lumpen, die nur noch im Ansatz daran erinnerten, dass sie ihn einst als stolzer Captain der Royal Navy ausgewiesen hatten. Dann zog er langsam die Uniform des Admirals über. Diese Unterschied sich deutlich von der eines Captains. Die Farbe war zwar jeweils royalblau, jedoch war die Admiralsuniform üppiger mit Goldborte und Knöpfen verziert, hatte einen breiteren Kragen und der Dreispitz war prächtig mit Federn geschmückt. Er ließ sich Zeit beim Anziehen der neuen Kleider und genoss das Gefühl von sauberem heilen Stoff auf der Haut. Stoff der angenehm roch und nicht vor Dreck stand. Zum Schluß folgten Perücke und Dreispitz. Dann trat er vor den kleinen Spiegel und musterte sich ausgiebig. Die Uniform saß wie auf den Leib geschneidert. Er lächelte. Abgesehen von dem wild wuchernden Bart erkannte er sich mittlerweile schon fast wieder. Ja so konnte er sich wieder unter zivilisierte Menschen trauen. Er drehte sich kritisch hin und her und bemerkte erst jetzt, das die linke Tasche der Uniformjacke etwas ausgebeult war. Er griff hinein und fühlte Metall. Seine Finger schlossen sich um einen glatten, runden Gegenstand und als er ihn hervorholte, blickte er staunend auf eine versilberte Taschenuhr. Norrington lies den Deckel der Uhr aufschnappen und entdeckte ein kleines stück Pergament, das an der Innenseite des Deckels befestigt war. Er zupfte es vorsichtig heraus und las, was darauf stand. „Sechs Uhr am Hafen. Kommt Ihr zu spät, wird es Euch teuer zu stehen kommen.“ Norrington seufzte. Beckett hatte scheinbar an alles gedacht. Ein Blick auf das Ziffernblatt verriet ihm, das er noch gute zwei Stunden Zeit hatte. Er ließ die Uhr zuschnappen und begutachtete die Unterseite auf der ihm das Emblem der East India Trading Company entgegen prangte. Wieder beschlichen ihn Zweifel ob der Richtigkeit seines Handelns. Doch nun gab es kein Zurück mehr und wohin sollte er auch gehen? Alles was er besaß, waren Trümmer und Staub. Er schob die Uhr in die Brusttasche seiner Weste, rückte noch einmal seinen Dreispitz zurecht und ließ sich auf einen wackeligen Stuhl fallen. Zwei Stunden. Das war eine Menge Zeit. Zeit um sich nach dem Befinden eines alten Freundes zu erkundigen. Norrington dachte nach. Wo mochte Lord Beckett wohl den Gouverneur Port Royals gefangen halten? Ausgeschlossen war, das sich Wetherby Swann freiwillig in die Hände der Company begeben hatte. Ausgeschlossen war somit auch, das er sich frei in Port Royal bewegen konnte. Norrington bezweifelte außerdem, das Beckett dem Gouverneur gewähren würde, in seiner Villa im St. Paul‘s District zu bleiben. Und wenn, dann nur streng bewacht. Außerdem hielt sich der Lord seine Feinde gerne nah. Die Wahrscheinlichkeit war also am größten das sich der Gouverneur hier im Fort Charles aufhalten würde. In seiner neuen Position als Admiral würde kein Soldat bei lästigen Fragen misstrauisch werden. Diesen glücklichen Umstand sollte er sich also zu Nutze machen. Entschlossen erhob sich Norrington und verließ sein Quartier. Sein Weg führte ihn als erstes zu den Verliesen des Forts. Die beiden wachhabenden Soldaten am Eingang salutierten augenblicklich, als er näher kam. Norrington nickte kurz als Zeichen das sie sich rühren durften und blieb vor ihnen stehen. Er musterte beide, konnte die Gesichter aber keinem Name zuordnen. Sie wollten ihm gerade den Weg frei machen ohne auch nur nachzufragen, was ihn hier her verschlug, als er das Wort an die beiden Männer richtet. „Ihr da!“ Er verfiel sofort in den herrischen, autoritären Ton, für den er schon zu seiner Zeit als Captain und Commodore der Royal Navy bekannt war. „Ich brauche eine genaue Liste der Insassen und zwar sofort.“ Damit hatte er unmissverständlich klar gemacht, das er keinen Widerspruch duldete. Die beiden Männer sahen sich an, salutierten noch einmal und der kleiner von beiden Verschwand im Eingang des Verlieses. Der andere musterte Norrington interessiert und gab sich schließlich einen Ruck. „Sir , ich habe Euch noch nie hier gesehen. Seid Ihr hierher versetzt worden?“ Norrington bedachte ihn mit einem kurzen abfälligen Blick und entgegnete:“ So ähnlich. Ich hatte eine… Dienstpause. James Norrington, der Name sagt Euch vielleicht etwas.“ „Oh! Ihr seid das? Habt Ihr nicht die Interceptor und die Dauntless verloren? Herrje, was für ein Schande… das waren wirklich schöne Schiffe.“ Norrington spannte den Kiefer an und unterdrückte eine gereizte Antwort. Stattdessen beließ er es bei einem frostigen Schweigen und einem Blick der hätte töten können. Es dauerte nicht lange und der kleinere Soldat kehrte mit einem großen Buch unter dem Arm zurück. In diesem wurde genau aufgeführt, welcher Häftling wann in den Kerker gekommen war, in welcher Zelle sie einsaßen und wann sie den Kerker wieder verlassen hatte. Norrington nahm das Buch entgegen und entfernte sich ein paar Schritte von den beiden Männern. Dann schlug er das Buch auf und begann, darin herum zu blättern. Wie lange mochte es in etwa her sein, das der Gouverneur inhaftiert wurde? Norrington überlegte und schätze grob, das es vier Monate gewesen sein könnten. Vielleicht auch länger. Er blätterte vor bis er den entsprechenden Monat fand und ließ seinen Finger suchend über die Seiten des Buches wandern. Hunderte von Namen, von denen ihm die meisten nichts sagten begannen or seinen Augen zu verschwimmen. Er blätterte Seite um Seite vor und dann fand er endlich, was er sucht. Wetherby Swann! Angeklagt wegen Vertuschung von Straftaten. Hinter dem Datum war ein kleiner, schlecht lesbarer Vermerk. Ein Verweis auf eine der folgenden Seiten. Norringotn blätterte weiter bis er die angegebene Seite und den dazugehörigen Eintrag fand. Wetherby Swann, 2 Wochen nach seiner Festnahme wieder auf freien Fuß gesetzt. Keine nähere Erleuterung. Nur ein weiterer Verweis auf eine andere Seite. Er runzelte die Stirn, suchte nach der nächsten Seite und las, das der Gouverneur erneut eingesperrt worden war. Wieder ein Verweis. Norrington blätterte hektisch durch das Buch und fand immer wieder neue Einträge die den Namen des Gouverneurs trugen. Alle paar Tage oder Wochen wurde der Mann aus seiner Zelle entlassen, nur um sich wenig später wieder dort einzufinden. Was war das für ein Spiel? Der letzte Eintrag war noch nicht alt. Vor 8 Tagen sperrte man Gouverneur Swann erneut in Zelle Nr. 27 mit der Bemerkung: Sicherheitsverwarung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)