Two Cats - Two Assassins von Stoechbiene ================================================================================ Kapitel 17: Mann oder Mörder? ----------------------------- 16. Robin Mann oder Mörder? Vor Erschöpfung muß ich eingeschlafen sein. Es war kein erholsamer Schlaf, zu sehr waren meine Träume von den Geschehnissen der letzten Stunden geprägt. Bilder die durch mein Erinnerungsvermögen schossen wie unheilbringende Blitze, mich nicht zur Ruhe kommen ließen. Mr. Willings Eindringen in mein Zimmer, die Prügel die ich einstecken mußte und sein lebloser Körper, der in einer Blutlache auf dem Boden neben mir lag. Glänzender Stahl beendete sein Leben, durchbohrte sein Herz, bevor er mir größeren Schaden zufügen konnte. Ein japanisches Langschwert, ein Katana. Ein Schwert, so wie es in dem Zeitungsartikel stand! Alarmiert durch die Erkenntnis, dass der Mörder so vieler Opfer hier in meinem Zimmer verweilt, richte ich meinen Oberkörper auf und blicke mich nach ihm um. Enger umschließe ich meinen Körper mit meiner Decke, ist zwar meine Furcht vor ihm nicht ganz so groß wie vor Mr. Willings, aber ein Mörder bleibt nun mal ein Mörder. Oder etwa nicht? Es ist schon das zweitemal, dass er mich aus einer misslichen Lage befreit hat, mich vor meinen Angreifern rettete. Die er jedes Mal tötete. Ohne Mitleid, kaltblütig. War ich je darüber traurig? Habe ich seine Taten bereut? War mir mein eigenes Leben nicht stets wichtiger als das dieser Männer? Bin ich dann nicht genauso schuldig wie er das Leben anderer nicht geachtet zu haben? Aber hatten denn sie Achtung vor meinem Leben? Die Frage lautet: Du oder ich? Und wenn ich ehrlich bin, so würde ich mich wieder für mich entscheiden, denn auch wenn ich schon auf der Feuerleiter stand und mir den Tod herbeigewünscht habe, so hänge ich dennoch an meinem kläglichen bisschen Leben. Wie vermutlich die meisten Menschen. Auch ich möchte einen Traum haben dürfen für den es sich zu leben lohnt, der mein Leben mit Sinn erfüllt. Und im Moment wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass Nami und ich die Chance auf ein besseres Leben bekommen, nicht mehr im Dreck wühlen müssen, um nicht unterzugehen. Ist das zu viel verlangt? Hat nicht jeder das Recht auf ein bißchen Glück? Doch ist es nicht etwas zu kühn im Angesicht eines Mörders sich Gedanken über eine schönere Zukunft zu machen? Neugierig mustere ich ihn, wie er im Schneidersitz auf meinem Schreibtisch sitzt, die Augen geschlossen, als würde ihn seine Umwelt nichts angehen, er kein Teil von ihr wäre. Gleich drei Katanas lehnen an seiner Schulter, rot, weiß und schwarz, was ihn noch mehr wie eine Figur aus einer unwirklichen Welt erscheinen lässt. Mein Retter und doch habe ich Angst vor ihm. Es ist nicht reine Panik wie vor einem wilden Tier, eher wachsame Furcht gepaart mit Respekt vor einem Virtuosen seiner Art. Ein Mörder als Künstler? Und doch sehe ich in seinen Taten mehr als bloß das reine Abschlachten Schwächerer, denn er tötet nicht die Schwachen, er tötet diejenigen, die selbst keine Achtung vor dem Leben anderer haben. Im Grunde tötet er seinesgleichen. Aber das absurdeste ist dennoch, obwohl die Fakten klar dagegen sprechen, dass ich mich in einem entfernten Winkel meines Bewusstseins darüber freue, dass er hier ist, dass er mir, wieder, das Leben gerettet hat. Und dennoch ist er mir unheimlich. Er tötet Menschen, was eine gewisse Kaltschnäuzigkeit voraussetzt und in der nächsten Sekunde umschließt er mich mit seinen starken Armen, schenkt mir Halt und Geborgenheit. Immerhin hätte er meine Situation schamlos ausnutzen können, könnte er sogar noch immer, denn unter meiner alten Decke bin ich völlig nackt. Es würde mich doch sehr wundern, wenn ein Mann wie er dies vergessen hätte. Ist er Mann oder Mörder? Mörder, aber kein Vergewaltiger? Mann, jedoch kein Casanova? Richter und Henker? Wie lautet dann sein Urteil über mich? Schuldig, aber nicht zum Tode verurteilt? Ich bin verwirrt. Was soll ich bloß Nami erzählen? Dass Mr. Willings hier aufgetaucht ist, um von mir seine verpassten Schäferstündchen bei einer Prostituieren gewaltsam einzufordern, er dabei aber von einem Profikiller getötet wurde und nun mein besagter Retter auf meinem Schreibtisch sitzt wie eine Statue? Sie wird mich für verrückt erklären. Ob Mr. Willings wusste, dass sie heute Nacht bei einer alten Schulfreundin übernachten würde, die für ein paar Tage in der Stadt ist? Hatte er uns beobachtet? Oder das Haus? Und was ist mit ihm, meinem unbekannten Retter? Beobachtet er mich ebenfalls? „Hast du Hunger?“ Erschrocken zucke ich zusammen, nur um wie gebannt in die stechend grünen Augen meines Gegenübers zu blicken. Mann oder Mörder? „Wie?“ stammle ich deshalb, denn noch immer weiß ich nicht wie ich mich verhalten soll, noch kenne ich seine Absichten. Lohnt es sich bei einem Mörder nach Logik zu suchen? „Es wäre besser für dich wenn du etwas Ablenkung hättest und da du aussiehst als hättest du schon länger nichts mehr vernünftiges gegessen, dachte ich, wir gehen etwas essen. Solltest du allerdings absichtlich die Figur eines Bügelbrettes imitieren wollen kann ich dir davon nur abraten, das steht dir nicht.“ Perplex starre ich ihn an, beobachte wie er seinen Platz verlässt und zur Tür geht. Doch bevor er hinausschlüpfen kann, halten ihn meine Worte auf. „Ich…ich kann mir das nicht leisten. Das Essen, meine ich.“ „Du hast fünf Minuten. Der Rest ist meine Sache.“ Und weg ist er. Hastig krame ich in meinem Schrank, wobei ich eh nur zwei Hosen besitze, wovon eine in der Wäsche ist, und vier Pullover. Es spielt also keine Rolle was ich möchte, sondern nur was ich mein Eigen nennen darf. Also bekleide ich mich. Mehr nicht. Und wenn ich schon gerade an Besitz denke, ich könnte ihm seine Lederjacke zurückgeben. Sie gehört mir nicht und außerdem war sie bestimmt teuer gewesen. Sorgsam ziehe ich sie von einem meiner Drahtkleiderbügel, solche wie sie Wäschereien verwenden und wie man sie dort haufenweise im Abfall findet, und drücke sie kurz an mich. Wieder umfängt mich der Duft des Parfums oder Rasierwassers, von dem noch eine Spur darin zu wohnen scheint. Doch diesmal ist nicht die Frage welchem Unbekannten sie gehören mag, sondern was für ein Mensch er in seinem tiefsten Inneren ist. Ist auch er verletzlich? Ein wenig überhastet eile ich die schmale Treppe nach unten ins Wohnzimmer und wieder sind es seine Augen, die mich abrupt innehalten lassen. „Deine…deine Jacke. Sie gehört dir doch, oder?“ Stumm mustert er mich, ehe er auf mich zukommt und mir besagtes Kleidungsstück vom Arm nimmt. „Wieso hast du sie nicht verkauft? Du hättest dir Essen oder sonst was dafür leisten können.“ „Aber…sie gehört mir doch nicht. Ich hätte niemals-“ „Ein ehrliches Herz.“ Seine Augen haben einen merkwürdig traurigen Glanz angenommen, doch ich frage nicht weiter nach, das steht mir nicht zu. Und so sage ich auch weiterhin nichts als er mir hilft in besagte Lederjacke zu schlüpfen, so dass wir uns auf den Weg begeben können. Ich bin aufgeregt. In meinem Magen kribbelt es, wandert weiter bis über meine Schultern. Dazu stolpert mein Herz in einem mir unbekannten Rhythmus, so dass ich nicht weiß ob ich ängstlich oder erfreut sein sollte. Diese Situation ist einfach zu grotesk. „Asiatisch?“ Prüfend blickt er mir in die Augen, das Kribbeln wandert weiter meine Beine hinab bis zu den Knien. Ich fühle mich eigenartig. „Warum nicht,“ murmle ich. Sein Blick lässt mich wieder los und wir betreten das kleine Lokal. Ich kenne es, zumindest von außen. Nami und ich standen hier bestimmt schon ein Dutzend Mal vor der Speisekarte neben dem Eingang, bestaunten die fremdländischen Gerichte und malten uns aus wie sie wohl schmecken würden. Ich weiß noch als das ‚Shanghai‘ eröffnet wurde, erinnere mich an den würzigen Duft der in der Luft lag. Wie gerne wären wir hineingegangen um all die lecker aussehenden Gerichte auszuprobieren, doch das konnten wir uns nicht leisten. Also sind wir in verschiedene Supermärkte und haben dort in den Kisten mit reduzierten Lebensmitteln nach asiatischen Gerichten Ausschau gehalten. Voller Stolz ergatterten wir eine Packung Frühlingsrollen, deren Verfalldatum beinahe überschritten war. Es war uns egal, denn wir fühlten uns wie Könige. Statt trockenes Brot aßen wir eine fernöstliche Köstlichkeit. Natürlich war uns klar, dass diese Teigröllchen nie an das heranreichen würden was wir durch die Fenster des ‚Shanghai‘ gesehen hatten, aber es war wie ein Traum von dem wir noch lange zehrten. Einfach Abwechslung. Doch genau aus diesem Grund sitze ich nun ratlos vor der Speisekarte. Süß-sauer? Wie geht das? Erdnusssoße? Ist das warme Erdnussbutter? Hoffentlich nicht. Entenfleisch habe ich auch noch nie gegessen. Herrje. Und auch wenn es dafür keinen ersichtlichen Grund zu geben scheint, überkommt mich eine Tränenflut. Was mache ich hier? Ich gehöre nicht hierher. Ich verstehe ja nicht einmal die Speisekarte! Ungeschickt wische ich mir mit dem Handrücken über die Augen, fühle mich klein und nichtig; zu nichtig um hier sein zu dürfen. Kinder der Slums pflegen eben nicht in einem Restaurant zu speisen, das hat schon seinen Grund. Ich spiele mit dem Gedanken einfach aufzustehen und davonzulaufen, aber es wäre mir zu peinlich. Was würden die Menschen hier über mich denken? Was würde er über mich denken? Mein verschwommener Blick richtet sich auf ihn, bleibt an ihm haften, doch seine Aufmerksamkeit gilt der Bedienung, nicht mir. Überrascht blinzle ich die überschüssigen Tränen weg, während ich vergeblich darum bemüht bin seine Worte zu verstehen. In welcher Sprache unterhält er sich mit ihr? Chinesisch? Japanisch? Sie lächelt ihm zu und entfernt sich wieder von unserem Tisch, während ich sicherlich noch immer wie ein Häufchen Elend aussehe. Sie wird bestimmt denken, was will so ein gutaussehender Mann mit einer Frau wie mir. Sie hat ja recht. „Es gibt keinen Grund zu weinen.“ „Doch,“ widerspreche ich mit belegter Stimme, „ich gehöre nicht hierher.“ „Warum? Ist deine Daseinsberechtigung weniger wert als die aller anderen? Das Leben wäre viel einfacher wenn die eine Hälfte der Menschen nicht unter Minderwertigkeitskomplexen leiden würde und die andere Hälfte sich nicht daran aufgeilen würde, nur um sich nicht selbst minderwertig vorzukommen. Öffne die Augen und sieh die Menschen wie sie wirklich sind. Keiner von uns verdient es besser als andere behandelt zu werden.“ Die Logik seiner Worte überrascht mich, ebenso die unterschwellige Bitterkeit im Klang seiner Stimme. Eigenartig. Obwohl er rational über den Dingen zu stehen scheint gewinne ich den Eindruck, dass er es emotional genauso wenig bewältigt wie ich, nur dass er eben ein besserer Schauspieler ist. Ich gebe zu dieser Umstand tröstet mich, denn ich fühle mich nicht mehr allein mit meinen Problemen. Zwar ist mein Gegenüber weiterhin ein Fremder für mich, aber neben Nami ist er der netteste Mensch dem ich je begegnet bin. Ein netter Mörder. Ob er deshalb tötet? Weil er die Welt wie sie ist nicht ertragen kann? Tötet er dann nur die, die das mangelnde Selbstwertgefühl anderer zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen? Oder wählt er seine Opfer zufällig aus? Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht möchte ich es auch gar nicht glauben und hoffe im Stillen, dass hinter all seiner Grausamkeit ein weiches Herz schlägt. Ja, dass er auf seine Art für Gerechtigkeit kämpft. Ich bin naiv, eine Träumerin, aber auch ich bin eben doch nur eine Frau. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)