Das Portal von Rentalkid ================================================================================ Überraschungsmoment ------------------- Kapitel 4 – Überraschungsmoment Ein Windzug ließ das Feuer, das den Raum erhellte, auflodern und ein beunruhigendes Schattenspiel über die kalten Felswände huschen. Die nächtliche Ruhe wurde von einem stürmischen Sommerwind aufgewühlt, der sich von Zeit zu Zeit auch seinen Weg durch die spärlich gesäten Fenster des Thronsaals erschleichen konnte. Etwas ging vor sich in diesem riesigen Raum; Stimmen hallten aus dem Zentrum, und die steinernen Wände warfen sie noch von den entferntesten Winkeln dieses Ortes zurück. Dann hielt für einen Augenblick Stille Einzug. Ein blecherner Kelch flog quer durch den Raum. Die einst darin aufbewahrte, blutrote Flüssigkeit versickerte nun langsam im Boden. Zurückgelehnt in seinem Thron sitzend, biss sich der Lord dieser Festung nervös auf die Unterlippe. Etwas machte ihn verrückt, ließ ihm keine Ruhe; und es befand sich noch eine Person in dem Raum, ganz in seiner Nähe. Es war die Anführerin seines Jagdgeschwaders. Die jüngste noch lebende Hohepriesterin, deren magische Begabung womöglich der letzte Hoffnungsschimmer dieses ansonsten todgeweihten Kreises war. Uriah, die wie eh und je in so glänzendem, hell leuchtenden Silber vor ihrem Herren stand, dass man fast zweifeln mochte, tatsächlich eine Dunkelelfe zu betrachten. Unter ihrem linken Arm trug sie ihren prächtigen Helm, sodass ihr zu einem wallenden Zopf gebundenes, silbrig weißes Haar frei lag. Wahrhaftig eine anmutende Erscheinung. Zu ihrem Unglück ließ das alles den Machthaber jener gewaltigen Festung völlig kalt. Er war unzufrieden – höchst unzufrieden-, und Uriah ahnte, nein, sie wusste vielmehr, dass sie der Grund für seinen Verdruss war. Gardif erhob sich wuchtig aus seinem Thron und näherte sich mit beunruhigend schwerem Schritt seiner Untertanin. „Der Junge, der Junge ... dieser gottverdammte Junge“, wiederholte er ein ums andere Mal in scharfem Tonfall. Die Elfe wagte es nicht, ihrem Herrscher in die Augen zu sehen. Stattdessen fixierte sie den blass golden schimmernden Kelch, den dieser ihr zuvor vor die Füße geworfen hatte „Weißt du,“ fragte Gardif eindringlich, „Prana meint, er ist nicht der, für den wir ... für den du ihn hältst. Mehr noch: Sie meint, er wäre gar nichts!“ Uriah wollte antworten. „Etwas ...“ „Nur ein weiterer, nutzloser Mensch, der in den Minen oder der Wüste verrotten wird“, wurde sie harsch unterbrochen. „Sag, liebste Uriah, bereitet es dir solches Vergnügen, diese armen Seelen aus ihrem sorglosen Leben zu reißen?“ Mit jedem Wort schwoll seine Stimme an und verzerrte mehr und mehr zu einem verrückten, kratzigen Keifen. Schon bald bahnten sich Verachtung und Wut ihren Weg an die Oberfläche. „So sehr, dass du wieder und wieder diesen Abfall hierher bringst?“ Verängstigt versuchte die Dunkelelfe erneut zu reagieren, doch just in diesem Moment schnellte die knochige Pranke des Tyrannen an ihre Kehle, und stahl ihr mit brutalem Druck den Atem. „Ah ...“ keuchte Uriah bevor ihr die Brutalität ihres Herren gänzlich die Luft nahm. „Ich weiß, dass du sie sehen musst, um sie zu beurteilen – mit ihnen Kontakt aufnehmen musst-, aber wenn du mir diesen Abschaum dann dennoch vorsetzt, nur damit ich mich vor Prana der Lächerlichkeit preisgebe, und das bisschen Leben, das dieser alten Hexe noch bleibt, riskiere ... dann, liebste Uriah ...“ Er drückte noch fester zu, nahm sogar in Kauf, die Elfe ernsthaft zu verletzen, doch sie wagte es nicht, sich zur Wehr zu setzen. Gardif hätte die Frau erwürgen können, ohne den geringsten Widerstand zu verspüren, so vollkommen treu ergeben, war sie ihm. „... lässt mich das stark an deiner Urteilsfähigkeit zweifeln!“ Nach diesem Vortrag ließ er endlich von ihr ab. Uriah wich einige Schritte zurück und sank nach Luft ringend auf die Knie. In der gezwungenen Pose zu Füßen ihres Herren gab die sonst so anmutende Frau ein erbärmliches Bild ab. „Tu das nie wieder, Uriah“, drohte der alte Mann. „Ich war stets nachsichtig, doch auch meine Geduld hat Grenzen.“ Nun, da sich die Situation beruhigt hatte, war die Zeit reif für eine Antwort. Außer Atem entschuldigte sich die Frau für ihren Fehltritt. „Verzeiht ... Der nächste Mensch, der diesen Raum betritt, wird der richtige sein, dafür bürge ich mit meinem Leben, Lord Gardif!“ Ein Versprechen, das nur sehr schwer eingelöst werden konnte. Ihr war das bewusst, genau wie dem ergrauten Tyrannen, der die stolze Magierin scheinbar völlig in der Hand hatte. „Verschwinde jetzt!“ Mit einer abwertenden Geste verabschiedete Gardif die Dunkelelfe. Er wollte sie schlicht aus den Augen haben. Die kümmerliche Entschuldigung ihrerseits war ihm völlig gleichgültig. Zwar war es eigens sein Verdienst, dass sich die stolze Kriegerin so vor ihm erniedrigen musste, doch trotzdem widerte ihn dieses kümmerliche Verhalten mehr an, als der Fehltritt der Frau. Kein Wort wurde mehr gewechselt. Auf ihrem Weg aus dem riesigen Saal nutzte Uriah ihre telekinetischen Fähigkeiten um das Tor zu öffnen. Gardif beachtete diesen kleinen Ausbruch von Emotionen gar nicht; nahm ihn in seiner Gedankenverlorenheit wohl nicht einmal wahr. Uriahs Blick sprach Bände. Es war kein Ausdruck von Wut, oder Verletzung, vielmehr wirkte sie irritiert, ja sogar besorgt. Weniger etwa um des Geisteszustandes ihres Anführers, der gerade drauf und dran war ihr das Leben zu nehmen, sondern viel mehr über Pranas Einschätzung des Jungen. Nie zuvor hatte Uriah eine derart starke Aura bei einem Menschen gespürt. Wenn er wirklich nicht der Eine war, was würde sie in Zukunft noch erwarten? ___________________________________________________________ Am nächsten Morgen standen rund zwei Dutzend Menschen in Reihe und Glied vor den riesigen Toren der Festung. Vor ihnen trabte ein pechschwarzes Pferd von einem Ende der Schlange zum anderen. Auch Peter befand sich unter den armen Seelen, die hier in der kühlen, trockenen Morgenluft gemustert wurden. Es verwunderte den Jungen, dass der Dunkelelf vor ihm auf einem echten Pferd und nicht auf einem derer alptraumhaften Vettern ritt, die ihm vor Kurzem noch das Leben schwer gemacht hatten. Der Reiter sprach zu der Menge. „Die meisten von euch wissen ja bereits, was jetzt kommt. Für alle anderen gilt es, nun die verkümmerten Ohren zu spitzen! Ich bin Ortoroz, erster Offizier seiner Lordschaft und somit Befehlshaber über das Heer der Dunkelelfen!“ Scheinbar genoss es die ergrauende Gestalt, sich wichtig zu machen. „Als Zeichen unseres guten Willens werden die Menschen, die sich aus eurer Welt in die unsere verirren, von uns ehrenvollen Aufgaben zugeteilt, um hier in Caims zumindest einen Zweck zu erfüllen. Arbeitet tüchtig und besonnen im Dienste eures Herren! Für eine bessere Zukunft ... für uns alle ...“ Peter konnte nur vermuten, wie viele Male der bullige, große Ritter diese Worte zuvor schon heruntergeleiert hatte. Von seinem gelangweilten und emotionslosen Tonfall ausgehend wohl verteufelt oft. Vorsichtig blickte der Junge, der zu allem Überfluss auch noch im Zentrum der Reihe stand, nach links und rechts und musterte die Mitgefangenen. Bis auf das junge Mädchen, dem er auch schon vorher begegnet war und einem untersetzten, rundlichen Mann, der nur wenig älter schien als Peter selbst, waren sämtliche Insassen wohl schon länger Gäste in Vyers. Sie alle trugen Einheitskleidung. Eine schäbige, hellbraune Robe, eine Hose aus dem gleichen Stoff und ein paar stümperhaft zusammengeschusterte Latschen. Gleich zu seiner Rechten erkannte Peter auch den blonden jungen Mann wieder, der dabei war als ... er verdrängte den Gedanken wieder. Die Kleidung der Neuen, wenn mittlerweile auch stark mitgenommen, stach deutlich aus der Menge heraus, sodass Ortoroz – wie sich der schwer gepanzerte Elf nannte – keine Probleme damit hatte, die Frischlinge vor sich auszumachen. Er zog die Zügel leicht an und trabte bis auf wenige Schritte an Peter heran, beachtete den Jungen aber nicht weiter. „Wie die meisten von euch wissen, ist der Bau des letzten Außenposten schon fast abgeschlossen, auch dank eurer Tüchtigkeit. Jedenfalls bedeutet die baldige Komplettierung, dass wir in Zukunft weniger Arbeitskraft an diesem Ort benötigen“, erklärte er. „Ich werde nun die Namen derer verlesen, die vom Bau abgezogen und nach Berra versetzt werden.“ Ein Grummeln ging durch die Menge. Geradezu ein heller Aufruhr, verglich man die neuerliche Stimmung mit dem demütigen Schweigen, das noch bis vor einigen Sekunden geherrscht hatte. „Ruhe!“ Aufgeschreckt beendeten die Männer und Frauen das Gemurmel so schnell, wie sie es angefangen hatten. „Hört gut zu! Ich wiederhole mich nur sehr ungern.“ Auch die letzten Flüsterer verstummten schließlich. „Vom Bau abgezogen werden: Leite, Oumar, Benajoun, Dean, Aarve und Riordan.“ Jetzt herrschte wirklich helle Aufregung unter den Gefangenen. Peter vernahm verzweifeltes Schluchzen aber auch einige erleichterte Seufzer, die aus der Menge kamen. Wieder fixierte sich sein Blick auf den Mann neben ihm, Aarve. Sein Name war ihm noch geläufig, und seine Körpersprache verriet, wie die Kunde Ortoroz' einzustufen war. Am ganzen Leib zitterte der muskulöse, große Kerl, die Hände zu Fäusten geballt. Seine Augen glänzten und er biss sich so stark auf die Zähne, dass man glauben konnte, er wolle sie sich in die Kiefer treiben. Er war den Tränen nahe, und zugleich rasend vor Wut. Wo auch immer man ihn hinschicken würde, seine Erfahrung ließ ihn scheinbar annehmen, er würde nicht mehr von jenem Ort zurückkehren. „Der Zug nach Berra wird von Jesz [engl.“Yes“] angeführt, und bricht sofort auf. Für den Rest geht es vorerst zurück in die Zellen. Sobald General Vash zurückkehrt, werdet auch ihr aufbrechen, also genießt die freie Zeit ... HEIYA!“ Mit lautem Gebrüll trat der Dunkelelf in die Sporen und ritt im Galopp davon. Allein ließ er die Gefangenen jedoch nicht. Den zuvor aufgezählten Männern und Frauen wurden Fesseln angelegt. Einige von ihnen waren wie Aarve völlig apathisch, nahmen die Umgebung um sich herum gar nicht mehr war. Die Anderen wehrten sich verzweifelt, doch ohne Erfolg. Der Schein des hellblauen Kleids des Mädchens fiel Peter ins Auge. Würden sie es fertig bringen, dieses junge Ding zu versklaven? Wie könnte sie beim Bau einer Festung behilflich sein? Vielleicht war es Mut, vielleicht Übermut, der den Franzosen dazu bewegte, diese Frage laut zu stellen. „Ihr werdet doch nicht ernsthaft das Mädchen dazu zwingen, für euch zu arbeiten? Sie ist doch viel zu jung!“ Er richtete seine Worte an den Aufseher, den Ortoroz zuvor beim Namen nannte. Jesz. Ein schlanker Mann, mit kurz geschorenen, schwarzen Haaren. Er war auffallend dunkler, als die meisten seiner Artgenossen, und war am ganzen Körper mit Tätowierungen bedeckt, deren Sinn sich Peter noch entzog. Markantestes Merkmal des Dunkelelfs war jedoch die lange, tiefe Narbe, die sich in hellgrauem Ton fast senkrecht durch seine rechte Gesichtshälfte zog. Sein Auge war ebenfalls von dem Schaden beeinträchtigt worden, so dass sein Lid zweigeteilt war, und er auf dieser Seite völlig blind zu sein schien. Jedenfalls war nur noch das Weiße in diesem Auge zu sehen, keine Spur mehr von der smaragdgrünen, katzenhaften Iris, die seiner besseren Hälfte ein wenig die Bedrohlichkeit nahm. „Zu jung, zu klein, zu schwach. Was würde sie uns nutzen? Beruhigen sollte dich das allerdings nicht, denn nur wer von Nutzen ist, überlebt hier.“ Jesz hatte sich dem Jungen auf einen halben Meter angenähert, die Hand in Erwartungshaltung über den Griff seines Dolches platziert. „Was bist du überhaupt? Ihr Beschützer?“ Er schnüffelte an Peter, als würde ihm sich dadurch sein Charakter erschließen. „Dann pass lieber gut auf sie auf!“ „Das werde ich!“ Das Mädchen hörte jedes Wort mit, und blickte hoffnungsvoll und überrascht in Peters Richtung. Zum ersten Mal fühlte sie an diesem Ort eine andere Emotion als Furcht, Panik oder Entsetzen. Zu Peters Verwunderung ließ Jesz ohne weiteren Kommentar oder Gewaltanwendung von ihm ab. Der Aufseher wandte sich seiner kleinen Karawane zu und murmelte dabei noch einen letzten Satz in die Richtung des Jungen. „Wenn du sie wirklich beschützen willst, bring sie lieber gleich um.“ Jesz trieb die sechs Menschen an, die Ortoroz zuvor ausgewählt hatte, und der Zug setzte sich in Bewegung. Ein Reiter auf jeder Seite; Jesz am Ende der Karawane. Die Beteiligten wussten wohl, wohin die Reise für sie ging, für Peter jedoch brachen sie ins Ungewisse auf. Erst jetzt bemerkte der Franzose, dass ihn das junge, brünette Mädchen beeindruckt anstarrte. Ihre Augen glänzten, eine Träne bahnte sich den Weg über ihr hübsches Gesicht. Sie hatte ihn reden gehört, und er wusste just in diesem Augenblick, dass er sich dazu verpflichtet hatte, Wort zu halten. Sie erinnerte den Franzosen an jemanden ... Jemanden, für den er genauso eingestanden wäre. ... ... ... ... ... ... Camden, NJ, USA. Vor zwei Tagen (Erdzeit) Genau wie seine Anwesenheit, fiel dem größten Teil der Teenager auf dieser ach so typischen, abendlichen Wochenendfete der theatralische Abgang des Außenseiters nicht weiter auf, dem die Seitenhiebe und Sticheleien, die er für sie lange gewillt war, hinzunehmen, schließlich doch den letzten Nerv raubten. Das Unangenehmste für Alicia war dabei, dass ihr Freund wie so oft der Aggressor war. „Könnt ihr ihn nicht ein einziges Mal in Ruhe lassen?“ fauchte die Vierzehnjährige in die Richtung ihres Freundes, der in Gesellschaft seiner Kumpanen einfach nicht auszustehen war. „Was willst du denn?“ Das Schlimme war, dass diese betrunkenen Idioten das wirklich nicht verstanden. „Das der hier überhaupt aufkreuzt, ist schon 'ne Frechheit! Kann mich nicht erinnern, dass ihn jemand eingeladen hätte.“ „Ich habe ihn eingeladen, Ian. So wie du alle deine Freunde ...“ Ihr Blick machte herablassend die Runde in dem pubertären Pöbel. „Nun mach mal halblang, der verkraftet das schon.“ Ian war zwei Jahre älter als Alicia und wahrscheinlich gerade deswegen so interessant für das hübsche Mädchen, dass vom ersten Tag an nicht so recht wusste, wieso sie sich seinem kaum vorhandenen Charme nicht entziehen konnte. „Er is' es doch gewöhnt.“ „Du bist so ein ...“ Alicia biss sich auf die Unterlippe und verkniff sich den Tiefschlag. Es war einer dieser viel zu zahlreichen Tage an denen ihr Schwarm sich derart verachtenswert aufführte, doch das Letzte, was sie jetzt brauchte, war eine Auseinandersetzung mit einer Horde angetrunkener Proleten. Es war an der Zeit ein paar Worte mit einer ganz anderen Person zu wechseln, und so folgte die junge Dame dem Weg des Gepeinigten, in der Hoffnung, ihn noch einholen zu können. Zu ihrer eigenen Überraschung, war er nicht weit gekommen. „Jimmy?“ fragte das brünette Mädchen die kniende Gestalt, die zu sehr vom Schatten der jungen Bäume und des prachtvollen Brunnens im Garten eingehüllt war, um absolut sicher sein zu können, mit wem man es zu tun hatte. „Jepp ...“ „Ich dachte, du wärst gegangen!?“ „Hätte ich das tun sollen? Brauchst es nur zu sagen!“ „Nein!“ Alicia ging neben dem schlaksigen Vierzehnjährigen in die Hocke. „Ich hatte befürchtet, diese Idioten hätten ...“ „Du hast mich eingeladen, nicht die“, fiel Jim ihr ins Wort. „Ich verschwinde nicht einfach, ohne mich zu verabschieden. Ist nicht meine Art.“ Diese durchaus zutreffende Feststellung zauberte ein Lächeln auf das jugendliche Gesicht des Mädchens. „Nein, so bist du wirklich nicht.“ Einen Moment lang schwieg Alicia um sich mit Bedacht die folgenden Worte zurechtzulegen. „Man kann sich auf dich verlassen, du lässt einen Freund nicht hängen. Obwohl du wusstest, dass der Großteil der Leute hier Vollidioten sind, bist du gekommen.“ „Weil du es wolltest“, erklärte der Junge verlegen. „Ja, und es tut mir leid, wie alles gelaufen ist. Ian, dieser Spinner, hat den Vogel mal wieder abgeschossen.“ Alicia erhob sich wieder und machte es sich auf dem Marmorgestein am Rande des kleinen Springbrunnens bequem, den eine mehrstöckige Kelchfigur in Kaskaden bewässerte. Jim schloss sich ihr nicht viel später an. „Mmh, wenn du ihn so gut leiden kannst, wieso seid ihr dann eigentlich zusammen?“ „Wieso?“ Der ganz in schwarz gekleidete und sonst so zurückhaltende Junge, wusste mit dieser direkten und durchaus berechtigten Frage zu überraschen. „Naja ... weißt du ... Ian ist unterm Strich gar nicht so übel. Es ist als wäre er ein ganz anderer Mensch, wenn wir allein sind und ich bin gewillt zu glauben, dass er mir dann sein wahres Gesicht zeigt.“ „Tja,“ Jim lehnte verträumt am Rande des Brunnens und beobachtete das kunstvolle Wasserspiel, „er kann dir trotzdem nicht das Wasser reichen.“ „D-danke“, antwortete Ally merklich verlegen. „Die Hauptsache ist, dass wir immer Freunde bleiben. Versprichst du mir das?“ Er antwortete nicht. Einen Moment lang glaubte Alicia, sie hätte den Jungen mit dieser Äußerung gekränkt, vielleicht sogar verletzt. Womöglich steckte ja doch mehr dahinter, als sie vermutete. Doch das war es nicht, was Jim die Sprache verschlug. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem alten Brunnen, der den Jungen geradezu verzauberte. „Was ist?“ fragte das hübsche Mädchen in ihrem prächtigen, himmelblauen Seidenkleid ungeduldig. „Sieh doch!“ Auf Jimmys Drängen hin blickte nun auch Alicia zur Wasseroberfläche des kleinen Bassins, und auch sie war vom ersten Moment an überwältigt von dem seltsamen Anblick, der sich ihr offenbarte. Das kühle Nass, dass im künstlichen Licht ob seiner Klarheit eigentlich völlig durchschaubar war, war einer absolut undurchdringlichen Schwärze gewichen, die auch das weiter durch den Speier zirkulierende Wasser nicht trüben, ja nicht einmal erschüttern konnte. Da wo die Fontänen auf die Oberfläche trafen, verschwanden sie einfach im Nichts, während der finstere Teppich aus der unerklärlichen Masse immerwährend seine Magie ausstrahlte. Die Gespräche und das Gelächter der anderen Gäste drangen auch ohne diese Ablenkung kaum bis zu den beiden durch, doch in diesem Moment hätte selbst die sprichwörtliche Bombe neben ihnen einschlagen können und es trotzdem nicht geschafft, sie abzulenken. „Was glaubst du, was das ist?“ fragte Jimmy. Er meinte, sie müsse es es wissen, immerhin war das hier die Fete zum fünfzehnten Geburtstag ihrer besten Freundin. „Sieht irgendwie seltsam aus.“ „Das kannst du laut sagen.“ Eine Frage drängte sich geradezu auf. „Wo fließt das Wasser hin?“ Der Junge war drauf und dran die seltsame Flüssigkeit, oder was immer es auch war, zu berühren, wurde jedoch von seiner Freundin in die Schranken gewiesen. Wirklich Besorgt sah sie allerdings nicht aus. „Nicht anfassen!“ Sie sprach diese Worte zwar, gab selbst jedoch keinen Pfifferling auf ihren eigenen Ratschlag. Vorsichtig tauchte sie ihren Zeigefinger in das pechschwarze Etwas, das auch auf diese Berührung hin nicht die geringste Reaktion zeigte. Alicia meinte zwar zu fühlen, in eine Flüssigkeit einzutauchen, als sie die Fingerspitze wieder hinauszog fühlte sie jedoch nichts mehr. Keine Feuchtigkeit, kein Kitzeln - Nichts. „Verrückt“, hauchte sie leise vor sich hin und richtete sich wagemutig auf dem Marmorgestein auf. Jim realisierte erst, was Alicia vor hatte, als es schon zu spät war. Aus purer Faszination und Neugier setzte sie einen Fuß in das einstmals seichte Gewässer, unwissend, dass sich an dessen Stelle ein Abgrund aufgetan hatte, der sie weiter von ihrer Heimat weg führen würde, als sie es je für möglich gehalten hätte. „Nicht!“ versuchte ihr bester Freund sie im letzten Moment noch aufzuhalten. Doch vergebens; Alicia fiel. Sie verschwand im Nichts und das Portal mit ihr. ... ... ... ... ... ... Also hatten sie ihn zurückgeschickt – ein weiteres Mal – in die Trostlosigkeit dieses Gefängnisses, das in den Himmel ragte. Doch es sollte sich herausstellen, dass diesmal zumindest etwas anders war. Aus einem Zufall gebar Hoffnung, und sie sollte zwei junge Menschen an diesem Tag vor der Melancholie der Einsamkeit bewahren. Als Peter nach einigen Minuten begann, in seiner Zelle begann herumliegende Steine für Zielübungen zu verwenden, erweckte er damit unverhofft die Aufmerksamkeit seiner neuen Nachbarin. Die Dunkelelfen hatten sich anscheinend keine Gedanken darüber gemacht, wen sie neben wem einquartierten. Es war eine freudige Fügung für beide. „Psst! Hey! Bist du das?“ Irritiert ließ Peter seinen Blick durch den Raum wandern, um den Ursprung der Stimme auszumachen. Nicht viel später stieß er auf eine Nische in der Wand, an der er lehnte, circa einen halben Meter breit und so niedrig, dass man sie leicht übersehen konnte. Es war eine kleine Verbindung zur Zelle gegenüber, durch ein Gitter versperrt, aber zumindest konnte so die Stimme ungehindert bis zu ihm durchdringen. „Wer spricht da?“ Peter kniete jetzt vor dem Schacht und flüsterte der sanften Stimme zu. „Weißt' schon, wir haben uns draußen gesehen. Wir ... konnten uns noch nicht vorstellen, tja ...“ „Du bist das Mädchen in Blau, richtig?“ „Korrekt!“ Die förmliche Bezeichnung, der Peter wählte, brachte sie zum Lachen. „Ich heiße Alicia, aber mich nennen die meisten nur Ally. Mädchen in Blau ist aber auch nicht schlecht.“ Das verlegene Kichern der beiden versiegte schnell; fast ging es in den Gemäuern unter. Der Situation zu trotzen, war kaum möglich. „Ally, ich bin Peter ... Pete ... Petey, was immer dir gefällt.“ „Mmh? Ich hab die freie Auswahl, huh? Peter klingt völlig in Ordnung. Hi!“ Peter war froh, dass das Mädchen ihren Lebensmut, nach all den Torturen, die sich schon jetzt hatte durchstehen müssen, scheinbar nicht verloren hatte. Die ängstliche Starre, in der er sie bisher ausschließlich angetroffen hatte, schien verflogen. Zum Glück. „Und woher kommst du? Aus dem Norden, vielleicht?“ „Nordwesten – um genau zu sein. Camden, New Jersey.“ Peter war völlig überrascht. Mit Norden hatte er Nordfrankreich gemeint, ob des völlig akzentfreien Französisch. Dann dämmerte es ihm wieder. „Oh, na klar, hatte ich schon fast vergessen ...“ „Wovon sprichst du?“ „Ich bin Franzose. Geboren und aufgewachsen in Marseille. Bisher jedenfalls. Mich wunderte nur, warum ich dich so gut verstehe, aber daran wird wohl dieser Wurm Schuld sein“, erklärte er. Langsam ging ihm die Hocke unangenehm ins Kreuz, und er entschied sich flach auf den Rücken zu legen, auch um so womöglich ja einen Blick auf seine Gesprächspartnerin werfen zu können. Und tatsächlich: Leicht verlegen stellte Peter fest, dass Alicia dasselbe Bedürfnis schon vor ihm in eine ähnliche Position gezwungen hatte. „Wurm? Kannst du mir das erklären?“ „Als ich hier ankam, erwischte mich einer von den Blauen da draußen und hat mir so eine Art winzigen Blutegel ins Ohr gesteckt“, versuchte Peter sein Bestes, jenen unschönen Impressionen Ausdruck zu verleihen. „Kein schönes Gefühl ... Jedenfalls konnte ich kurz darauf das Gerede von diesen Leuten verstehen und jetzt ja auch dich.“ „Oh, verstehe“, säuselte Alicia. Peter war heilfroh darüber, endlich wieder ein Gespräch mit einer Artgenossin führen zu können. So recht konnte er seinen Blick nicht von ihr nehmen, wie sie verträumt das Kinn auf den verschränkten Armen abgestützt dort lag, ihr Gesicht eingebettet in ihrem langen, rotbraunen Haar. Er fuhr fort. „Englisch spreche ich schon, aber sicherlich nicht so gut, wie es bei dir ankommt. Haben die das mit dir nicht auch gemacht?“ Alicia fasste sich unsicher an ihre Ohren. „Ich weiß nicht mehr, scheint wohl so. Ich kann mich kaum noch erinnern. Als ich aufgewacht bin, war alles um mich herum weiß. Sand, wohin man auch blickte; und diese Hitze ... höchstwahrscheinlich bin ich dann irgendwann ohnmächtig geworden.“ „Glück gehabt“, entfuhr es dem Neunzehnjährigen. Alicia lachte daraufhin. Oder weinte sie? „Wie man's nimmt.“ Sie weinte. Jetzt zumindest. Und sie schämte sich dafür; drehte sich weg von Peter. „Ist schon okay; lass es ruhig raus. Das ist es definitiv wert.“ Seine Worte waren natürlich nur gut gemeint; allein er selbst musste an der Wirkung seines Mitgefühls zweifeln. „Ich wollte ihm doch nur helfen! Und jetzt das“, begann das junge Ding in Erinnerungen zu schwelgen. „Was wird hier aus uns? Ich will zu meiner Familie zurück ...“ Peter wagte es nicht, erneut zu sprechen. Ihm fehlten auch die passenden Antworten. „Wie soll man uns hier je finden? Das kann doch unmöglich real sein!“ Da waren sie wieder, Apathie und Furcht, das Zittern. Was sie hier bisher hatte mitansehen müssen, ging weit über das Maß an gesunder Lebenserfahrung hinaus, die ein junger Mensch wie sie gemacht haben sollte. „Was sie diesem Mann angetan haben ...“ Es war genug! Peter konnte nicht länger völlig regungslos mitanhören, wie sich Alicia mit genau den falschen Gedanken herumplagte. Er kroch so nahe wie möglich an die Nische in der Wand heran, und streckte seinen Arm durch die Gitterstäbe, so weit, dass das Mädchen nur noch hätte danach greifen müssen. „Hey, Ally! Schau wieder her, sieh mich an!“ Leicht erschrocken, ob des harschen Tones, reagierte sie in Windeseile und verdrängte die Scham vor ihren Tränen unbewusst. „Komm, nimm meine Hand, Alicia.“ Zaghaft ergriff sie die Möglichkeit. Es war ein gutes Gefühl wieder einen Menschen zu spüren, einen ehrlichen, gut gemeinten Händedruck. Es gab ihr Sicherheit und ließ ihre Angst abschwellen. In diesem Augenblick machte sich Alicia keine Sorgen mehr über das dunkle Gemäuer, das sich hinter ihrem Rücken erstreckte, und die Dinge die sich hinter der schweren Tür ihrer Zelle ereigneten. Sie schluchzte, unterdrückte ihre Tränen nicht. Doch das Selbstmitleid wich der Freude darüber, einen Freund gefunden zu haben, der in diesem Augenblick mehr war als das: ihr Held. „Ich werd' nicht loslassen, keine Angst. Was uns auch erwartet, wir stehen das eben durch; zusammen, okay? Versprochen!“ Alicias Augen funkelten, sie lächelte ergriffen ihrem Wohltäter entgegen. Die Tränen röteten ihre Wangen, sie wimmerte, und dennoch verlor sie nichts von ihrer unschuldigen Ausstrahlung. Es war eine Schande, dass ein Mädchen wie sie hier sein musste. „... versprochen.“ ___________________________________________________________ Wie jeden Tag verteilte Uriah auch heute Aufgaben auf ihre Untergebenen. Sie schickte stets Gruppen aus drei Dunkelelfen – vorwiegend Frauen – auf die Jagd. In jüngster Vergangenheit war es meist Wild, das auf der Abschussliste der Spitzohren stand. Nur einigen wenigen Erlauchten war es vorbehalten, auf Menschenjagd zu gehen, allerdings setzte dies voraus, dass auch mindestens ein Exemplar angekommen sein musste. Lady Uriah spürte die Unzufriedenheit ihrer Untertanen ob der jüngst zurückgehenden Quoten, fertigte sie aber ohne ein Wort darüber zu verlieren, ab. Der letzte Zug verließ mitsamt Getier die Stallungen, sodass mit ihr zusammen nur noch vier Personen anwesend waren. Die Favoritinnen der Hohepriesterin – Braja und Leiria – sowie ihr lästiges Anhängsel Sang. Der durchtriebene, schlaksige Elf hockte mit vielsagender Miene gelangweilt auf der Umzäunung einer Box. Angesichts jüngster Ereignisse hätte er eigentlich einen größeren Respektabstand von dem zweifelsohne gefährlichen Tier nehmen sollen. Doch so, wie das bemitleidenswerte Wesen seinen Kopf von links nach rechts auf dem Boden schleifen lies, mit halb geschlossenen Augen, konnte man annehmen, Sang hätte sich dieser Sache bereits vorher angenommen. Die Situation war denkbar ungünstig: Weder wollten die Frauen in dem kleinen Trupp ihn um sich haben, noch wollte er sich bei ihnen herumtreiben und dennoch gab es keine andere Lösung... „Dein Vater fragt nach dir, Sang.“ „Ach was?“ Zweifelnd musterte die Krummnase seine Vorgesetzte. „Und wieso sagt er mir das nicht selbst?“ „Verschwinde!“ meldete sich Uriah noch einmal entschiedener zu Wort. „Ich würde mich nur ungern wiederholen müssen.“ Sein Trotz war schnell verflogen. Selbst Sang war nicht dumm genug, sich mit Uriah anzulegen. Bei seinem Abgang verpasste er dem Guri von Leiria einen Tritt, weil es ihm seines Erachtens nach einen ungebührlichen Blick entgegnete. Zumindest empfand der Dunkelelf die Fratze des Tieres als solchen. „Du ...“ Die Elfe schäumte über vor Wut. „Der Kerl wird irgendwann nochmal von einem Guri gefressen, jede Wette.“ Braja munterte ihre Freundin auf, die sich jetzt schon fast widerlich liebenswürdig um das hässliche Etwas kümmerte, dass Sang zum Toben gebracht hatte. „Sucht Ortoroz ihn wirklich?“ Uriah trug die Antwort amüsiert vor. „Nein, natürlich nicht. Aber Sang wird ihn sowieso nicht finden; er ist mit dem Großteil der Truppen ausgerückt.“ „Ausgerückt?“ - „Was?“ Die beiden jüngeren Elfen waren sichtlich überrascht. „Es heißt, ein Schiff soll vor der östlichen Küste geankert haben.“ „Die Menschen!“ stellten sie sofort fest. „Wer sonst?“ Es war Leiria, die so überzeugt davon war, den Ursprung des Problems ausfindig gemacht zu haben, doch Uriah konnte ihr nicht zustimmen. „Es würde mich wundern, denn ich spüre nichts. Falls es Menschen sind, dann nicht viele und wohl kaum gefährlich.“ „Hmm ...“ „Das ist allerdings auch nicht das Thema. Ich habe Sang schließlich nicht deswegen weggeschickt, so etwas kann er hier überall aufgreifen. Etwas weitaus wichtigeres liegt mir auf dem Herzen, und ich kann diese Sache nur euch beiden anvertrauen.“ Demütig lauschten die schwarzhaarigen Elfen den Ausführungen ihrer Meisterin. „Erlaubt mir, euch um einen Gefallen zu bitten.“ Wie aus der Pistole geschossen, folgte die Antwort der beiden. „Was immer ihr wünscht, Lady Uriah!“ - „... was es auch ist!“ „Ihr erinnert euch sicherlich noch an den Jungen, den ihr vor kurzem im östlichen Wald aufgelesen habt, oder? Letzte Nacht rief mich Lord Gardif zu sich; nicht sehr ... begeistert von ihm.“ Uriah blickte leicht erzürnt gen Decke dieser eher schäbigen Unterbringung. Der ganze Ort war alles andere als angemessen für eine Persönlichkeit wie sie, doch solchen Oberflächlichkeiten gab sich die Jägerin nicht hin, niemals. Erst jetzt bemerkten Leiria und ihre Kumpanin die Würgemale am Hals der Frau. Sie konnten sich ihren Teil dazu denken. „Prana scheint überzeugt davon zu sein, bei ihm handle es sich nur um einen weiteren Verirrten, einem Fehlschlag ... Ich fürchte allerdings, dass ich ihr bei dieser Einschätzung nicht zustimmen kann.“ Für die beiden jungen Dunkelelfen vor ihr brach in diesem Augenblick eine Welt zusammen. So harmlos diese Botschaft auch begonnen haben mag, von so tiefgreifender Konsequenz war sie. Die schlafende Hexe Prana, eine lebende Legende, der die wenigen noch existierenden Dunkelelfen ihr Dasein verdanken. Wer könnte an ihrer Integrität zweifeln? Wer könnte es wagen? Doch Braja und Leiria schworen in diesem Moment, ihrer Meisterin und Freundin nicht ab; Obschon sich Uriah selbst nicht absolut sicher war, dass sie so reagieren würden. „Schon gut, mir ist sehr wohl bewusst welch' Wagnis ich ... wir, hier eingehen. Trotzdem bitte ich euch, vertraut mir. Mir und nicht Prana, denn sie irrt, was den Jungen anbelangt.“ Jetzt hatte sie es schließlich auch ausgesprochen, offen und ohne Schönrederei. Die beiden Jägerinnen hatten nun quasi die Wahl, entweder ihren Herrscher zu verraten, oder ihre Meisterin, ihre Mentorin, ihre Freundin ... ihre Artgenossin. Zögerlich meldete sich die ältere der beiden Dunkelelfen zu Wort. „M-mit anderen Worten: Er ist es!?“ „Nein, denn das muss es ja nicht heißen“, wiegelte Uriah ab. „Es ist ganz einfach so, dass mir noch niemals ein Mensch mit solch starker Aura begegnet ist. Ob sie für Gardifs Vorhaben ausreicht, sei dahingestellt. Vielleicht – die Möglichkeit besteht.“ Nicht umsonst vertraute sich Lady Uriah gerade diesen beiden Dunkelelfen an. Sie waren ihre Leibwache, ihr bestes Personal und selbstverständlich nicht dumm. Im Prinzip hatte sie ihnen gerade nicht mehr erklärt, als dass Prana höchstwahrscheinlich richtig lag, was die Einschätzung Peters betraf. Uriah sorgte sich lediglich um die ungewöhnlich starke Energie, die sie in seiner Gegenwart vernahm. Gerade jetzt stand die angesehene, magisch so begabte Dunkelelfe mit einem Bein in Teufels Küche. Sich über die Situation im Klaren schloss Uriah ihre Ausführung mit dem notwendigen Maß an Selbstsicherheit ab, das vielleicht nötig war, um Braja und Leiria von ihrem Vorhaben vollends zu überzeugen. „Wird dieser Junge Gardifs Armee nach Panafiel führen und Minewood befreien? Vielleicht, vielleicht nicht. Kann er ihm, und somit auch uns, von großem Nutzen sein? Definitiv! Doch wenn es nach der Gemütslage des Lords ginge, würde er hier verrotten, sein Potential verschwendet werden, und das darf nicht geschehen! Und dafür sollt ihr Sorge tragen. Weil ich nur euch uneingeschränkt vertrauen kann.“ Mit den letzten Worten waren die aufkeimenden Zweifel wie von einer Flutwelle hinweg gespült. Leiria war gerade einmal achtzehn Jahre alt, Braja nur vier Jahre älter. Dunkelelfen wurden im Normalfall über hundert Jahre alt; von einigen Hohepriesterinnen der Vergangenheit wusste man, dass sie jene Lebenserwartung gar fast hatten verdoppeln können. Jung wie sie waren, beeindruckte und verpflichtete sie der Vertrauensbeweis jener Frau, zu der sie aufblickten wie zu ihren eigenen Müttern. Eine große Ehre wurde den beiden zuteil, zumindest empfanden sie es als solche. Wie könnten sie ihr jetzt noch in den Rücken fallen? Nach all den Jahren ... „Also“ Leiria lugte zu ihrer Partnerin herüber, die, nach der Anspannung der letzten Minuten, wieder in gewohnt gelassener Pose am hölzernen Stalltor zu ihrer Rechten lehnte. „Wie stellen wir's an?“ Uriah betrachtete ihr schwach reflektiertes Spiegelbild im glänzenden Silber ihres Helmes. Zufriedenheit zeichnete sich auf dem markanten Gesicht der Elfe ab. Zuletzt schielte sie noch ein Mal aus den Augenwinkeln hinüber zu ihren Mädchen. ___________________________________________________________ Ein weiteres Mal graute der Morgen in dieser fremden Welt. Ein weiteres Mal führten Peter Dirand Erinnerungen an seine Vergangenheit in seinen Träumen nach Hause. Dabei konnte er noch nicht erahnen, wie weit seine Heimat tatsächlich entfernt lag. War er überhaupt eine Distanz, oder eher eine Dimension von Marseille entfernt? Er schlief fest – so fest es eben ging – auf dem steinharten Boden seines Gefängnisses. Nicht fest genug jedoch, um das ohrenbetäubende Donnergrollen zu überhören, mit dem die massive Außenwand der Zelle in einer undurchschaubaren Staubwolke zerbrach und mit ebenso lautem Getöse in den Abgrund hinab stürzte. Wie bei einem Erdrutsch erbebte das gesamte Gebäude, dieser gigantische Turm. Nur wenige Augenblicke nach dem unsanften Erwachen stand Peter orientierungslos und sichtlich geschockt auf den zitternden Beinen. Was passierte hier? Aus dem Tiefschlaf gerissen versuchte der Junge sich zu besinnen und ein Bild der Vorgänge zu erhalten. Vor ihm drangen die ersten Sonnenstrahlen der Morgendämmerung durch die zerstörte Wand und blendeten seine schlaftrunkene Sicht. In seinem Rücken vernahm er das Scheppern von Rüstungen und Schwertern unruhig vorbeilaufender Soldaten. Als sich die Staubwolke langsam verzog, wagte Peter es, bis zum Rand des neuerlichen Abgrundes zu schreiten, um einen Blick auf die Festung zu seinen Füßen zu werfen. Die klare Luft ermöglichte ihm eine atemberaubende Aussicht auf Vyers Faste. Von der Ostseite aus näherte sich eine große Schar berittener Krieger, die mittelalterliche Artillerie im Schlepptau hatten. Gerade als der Franzose geladene Katapulte ausmachte, flog ein brennender Felsen, groß wie ein Kleinwagen, nur wenige Meter von ihm entfernte in den Westflügel des Turms. Überschlagende Flammen und herumfliegende, rasiermesserscharfe Felssplitter zwangen den Jungen in Deckung zu gehen, um nicht verletzt zu werden. Die Eruption jedoch brachte Peter aus dem Gleichgewicht. Er stürzte hinab in die Tiefe, wohl wissend, dass dies sein Ende bedeuten würde ... Zunächst prallte er auf einen kleinen Abhang, nur zwei Meter unter dem, was vor kurzem noch seine Zelle gewesen war. Er schnitt sich an den scharfen Kanten des Trümmerfelds die Kleidung auf. Die Wucht des Sturzes beförderte ihn dann schließlich über die Klippe hinaus, die der Einschlag des Geschosses aus der massiven Felswand des riesigen Turmes geformt hatte. Doch dann, kurz vor dem Aufprall, stoppte er. Peter hörte auf zu fallen. Und wieder schlug ein Geschoss in den Turm ein, diesmal sehr nahe an seiner Spitze, doch zunächst hatte der Junge keine Augen für die drohende Gefahr, die sich in Form zentnerschwerer Felsbrocken rasend schnell näherte. Er versuchte zu verstehen, was mit ihm geschah, als er sanft und sicher schwebend auf dem Boden abgesetzt wurde. Um ihn herum tummelten sich zahllose Dunkelelfen, teils schwer bewaffnet, alle zielstrebig auf ein bestimmtes Ziel zusteuernd, doch Peter hatte nur Augen für eine Person, die ihn aus der Distanz vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Er spürte, dass es die Frau in der leuchtenden Silberrüstung gewesen sein musste, die Elfe, der er vor zwei Tagen im Turm über den Weg gelaufen war. Sie blickte ihn an, zunächst völlig emotionslos. Dann zog sie die blauen Lippen zu einem provokativen Grinsen an und richtete ihren linken Zeigefinger in die Höhe. Peter folgte dem Wink mit dem Zaunpfahl und bemerkte gerade noch rechtzeitig, wie sich gewaltige Felsbrocken ihren Weg aus schwindelerregenden Höhen genau hin zu seiner Position bahnten. Erschrocken sprang der Junge zur Seite, suchte Unterschlupf in einem überdachten Verschlag nicht weit von ihm entfernt. Das hölzerne Dach schützte ihn zwar vor kleineren Brocken, doch Peter wusste, dass er noch lange nicht in Sicherheit war. Er schlich geduckt auf die Mauer der Festung zu, im Osten, wo er zuvor aus der Höhe die Angreifer ausmachen konnte. Natürlich kannte er auch sie nicht, wusste nicht, wer sie waren, aber Peter war sich in Einem absolut sicher: Sie taten das Richtige. Vor, neben und hinter ihm stürmten Dunkelelfen auf die Angreifer zu und gaben ihm somit die Richtung vor. Keiner von ihnen schenkte dem unbewaffneten Neunzehnjährigen Beachtung. Zunächst vernahm er nur das Schellen und Klappern des Metalls, das die Leute in Form von Waffen und Rüstungen mit sich herumschleppten, doch um so näher er der Grenze der Festung kam, mischten sich Schlachtrufe und Schmerzensschreie in das Ambiente. Wie eine aufgescheuchte Schafsherde irrten die Blauen umher. Sie waren in hellem Aufruhr. Eine kleine Genugtuung für den Jungen, der sich geschickt durch die Festung manövrierte. Immer darauf bedacht nicht aufzufallen. Die Stadt, die zuvor so sicher in ihren Mauern eingeschlossen schien, glich mittlerweile einem Trümmerfeld. Zwar vernahm Peter nur noch sehr selten den donnernden Einschlag schwerer Artillerie, doch hatten die Angreifer schon jetzt großen Schaden anrichten können. Der Junge erreichte die Überreste eines kleinen Steinhauses, das im Zuge der Attacken völlig zerstört wurde. Von hier aus versuchte sich Peter zum ersten Mal einen Überblick über die Situation zu verschaffen, geschützt von den nachtblauen Trümmern. Nur wenige Meter vor ihm prallten die Fronten aufeinander. Ein unvergessliches Schauspiel. Es standen sich mit Schwertern, Armbrüsten, Äxten oder Bögen bewaffnete Männer und Frauen gegenüber. Unter den schweren Rüstungen der Angreifer vermutete Peter zunächst gar keine Menschen. Erst als ein pechschwarzer Hengst aufgeschreckt an seinem Versteck vorbei galoppierte und seinen Reiter abwarf, dämmerte es ihm. Mit großem Schwung wurde der bullige Mann über die eingestürzte Mauer geworfen und prallte direkt neben dem Franzosen auf den Boden. Zunächst starr vor Schreck musste Peter mitansehen, wie der Ritter mit einem letzten verzweifelten Keuchen um sein Leben kämpfte, bevor ihn auch das letzte Bisschen Leben verließ. Ein Pfeil steckte in seiner Brust, geschickt gezielt auf eine der wenigen Stellen, an der die massive, matt-silberne Plattenrüstung dem Körper des Mannes keinen Schutz bieten konnte. Dieses Erlebnis war zu Peters eigenem Erstaunen nicht mal mehr annähernd so traumatisierend wie der Tod des gebrechlichen Gefangenen vor einigen Tagen, den er ebenso hatte aus nächster Nähe miterleben müssen. Auch überwog in all dem Durcheinander die Euphorie einen Menschen entdeckt zu haben, der sich nicht der Unterdrückung der Gefangenschaft ergeben hatte. Eines war Peter jetzt absolut klar: Er musste unbedingt seinen Weg zu den Angreifern finden, die in jenem Augenblick seine einzige Hoffnung auf Rettung waren. Aus sicherer Entfernung sah es tatsächlich so aus, als würden die Menschen die Oberhand gewinnen. Im Zweikampf setzten sich die Ritter gegen die meisten Dunkelelfen durch; gnadenlos, aber Gnade hatten die blauen Unterdrücker auch nicht verdient, rechtfertigte Peter das brutale Vorgehen seiner Artgenossen. Ihm war natürlich bewusst, dass vor seinen Augen Menschen und Elfen starben, sich gegenseitig in mittelalterlicher Manier abschlachteten, doch Mitleid konnte er mit der unterlegenen Partei wahrlich nicht empfinden. Als er seinen Blick jedoch auf eine massive, große Gestalt fixierte, die eine riesige Axt in den Rumpf eines der blauen Spitzohren trieb, wurde es auch ihm zu viel. Rotes Blut ... zumindest das hatten Menschen und Elfen gemeinsam. Er spürte wie sich sein Magen umdrehte, wurde aber zu seinem Glück, noch bevor ihn sein Vorstellungsvermögen völlig verrückt machen konnte, von einem weiteren Steinschlag abgelenkt. Das mittlerweile brennende Trebuchet schleuderte einen weiteren Findling Richtung Turm. Ehrfürchtig erhob sich Peter aus seiner gehockten Stellung und verfolgte den präzisen Flug des Geschosses. Erst jetzt fiel ihm alles wieder ein. Wie hatte er sie nur vergessen können? „Alicia!“ schrie er, ohne dabei auf seine Verborgenheit, die ihn ohne Zweifel am Leben hielt, noch wert zu legen. Ob der Einschlag den Zellentrakt in Mitleidenschaft zog, vermochte der Junge nicht zu beurteilen, aber so ramponiert wie die gen Osten geneigte Seite des Turmes aussah, verließen Peter schlagartig alle Hoffnungen und wichen schmerzlichen Schuldvorwürfen. Er hatte sein Versprechen nicht eingehalten ... Ob sie sie noch am Leben war? Und falls ja, wie würde er ihr jetzt noch helfen können? Entgeistert starrte der Junge zum Himmel, vergaß seine eigene, prekäre Situation für einen Moment vollkommen. „D-du ... willst wohl abhauen, huh?“ Jene heiseren Worte ließen die Realität in des Jungen Wahrnehmung zurückkehren; ein alter Bekannter hatte ihn bemerkt. „J-jetzt kann ich mein Ver...sprechen ... ein...“ Es war Bacall, der Aufseher der Peter vom ersten Moment an gefressen hatte. Allerdings stimmte etwas mit ihm nicht. Bei näherer Betrachtung bemerkte Peter, dass seine gesamte rechte Gesichtshälfte blutgetränkt war. Die dicke, dunkelrote Flüssigkeit strömte aus einer tiefen Wunde an seinem Kopf. Er stammelte nur noch vor sich hin. Dann erlöste ihn eine Reiterin von seinem jämmerlichen Dasein, indem sie ihn hinterrücks mit ihrem Schwert durchbohrte. Peter bemerkte die sich heranpirschende Frau und das imposante, braune Pferd, auf dem sie thronte, schon vorher, konnte erahnen wie diese Szene für Bacall ausspielen würde, bevor dieser auch nur ahnen konnte, was los war. Im entscheidenden Moment wandte Peter seinen Blick angewidert zur Seite. „Du bist hier nicht sicher. Nach Osten – beweg dich nach Osten und halte den Kopf unten! Wenn deren Streitkräfte zurückkehren, haben wir---“ Ein Reiter eilte herbei und unterbrach die Ansprache der Frau. Auch bei ihm handelte es sich um einen Menschen. „Hier bist du! Unsere Späher haben ihre Streitkräfte gut zwei Meilen westwärts ausgemacht, sie befinden sich längst wieder auf dem Rückweg“, berichtete er aufgeregt. „Das ist viel zu nah“, stellte die Ritterin flüsternd fest. Ein paar Sekunden lang hielt daraufhin Stille Einzug; dann meldete sich der Überbringer der schlechten Nachrichten erneut zu Wort. „Eva, wir müssen aufbrechen! Gegen Ortoroz Armee sind wir hoffnungslos unterlegen.“ „Ich weiß.“ Sehnsüchtig blickte die Reiterin zu dem Turm, der jedes Gebäude in dieser Stadt um Längen überragte. „Dann war das alles hier umsonst.“ „Sieh doch mal genau hin! ich bin mir sicher, wir haben ihn erwischt.“ Peter sah die Reiterin lächeln, auch wenn der größte Teil ihres Gesichtes von ihrem martialischen Helm verdeckt war. „Nein, haben wir nicht ... dennoch, wir sollten---“ „UARGH---“ Brennende Pfeile schlugen im Rücken des männlichen Reiters und in den Körper seines Schimmels ein, der sofort den Schmerzen Tribut zollen musste und zu Boden sackte. Auch die Frau wurde getroffen. Ein Geschoss traf sie in den Oberschenkel. Nicht auszumalen, wie schmerzhaft diese Wunde wohl war, doch die Unbekannte biss auf die Zähne und verlor zu keiner Zeit den Überblick über die Situation. Sie ließ ihr Pferd hinter die Trümmer traben und zog sich mit einem Ruck den Pfeil aus dem Bein – nicht ohne dabei vor Schmerz aufschreien zu müssen. Dann streckte sie Peter die Hand entgegen. „Komm schon; spring auf!“ Der Junge ließ sich nicht zwei Mal bitten und ergriff die Hand der Frau, die ihn mit aller Kraft auf ihr Ross zog. Ein edles, rotbraunes Tier. Vor allem war es tatsächlich ein Pferd, und nicht eines dieser zweibeinigen Höllenwesen, auf denen die meisten Dunkelelfen unterwegs waren. „HEYIA!“ Mit kräftigen Stößen gab Eva, wie sie von ihrem bemitleidenswerten Kameraden vorher adressiert wurde, dem Tier die Sporen und ritt gleichermaßen schnell wie geschickt durch das aufgeregte Treiben auf dem Schlachtfeld. Wohin das Auge auch sah: Leichen, Blut, Feuer, Schutt. Das faszinierende Stadtbild war zu einem echten Kriegsschauplatz verkommen. Eine ganze Masse an völlig neuen Sinneseindrücken prasselte auf den Franzosen herein. Der Geruch ... ja, womöglich war der Geruch des Todes in diesen ersten Momenten am überwältigsten für ihn. Nur wenige Meter vor der aufgesprengten, östlichen Mauer, durch die sich zuvor die Menschen ihren Weg in die feindliche Festung gebahnt hatten, wurden die beiden von einer Schar Dunkelelfen eingekreist – so kurz vor dem Ziel. Weit und breit war keine Unterstützung in Sicht, allem Anschein nach hatten die Kameraden der Ritterin längst den Rückzug angetreten. „Nein ... das darf doch nicht wahr sein ...“ Eva verfluchte ihre ausweglos scheinende Situation, dachte dabei aber die ganze Zeit konzentriert über einen eventuellen Ausweg nach. Fünf Blaue näherten sich in einer Halbkreisformation ehrfürchtig der kräftigen Stute, die angriffslustig schnaubte. „Der Lord wird hoch erfreut sein, wenn wir ihm deinen Kopf präsentieren, Menschenfrau!“ Peter wandte sich vor Nervosität leicht stotternd an seine Retterin, da die Rettung als solche zu scheitern drohte. „W-was machen wir jetzt?“ Einer der Dunkelelfen konnte den Jungen sehr gut hören. „Sterben, du Narr! Ha ha ha!“ Peter hatte keinen der Fünf zuvor gesehen. Sie waren lediglich mit Messern, einige gar nur mit Holzprügeln bewaffnet. Sie trugen keine Rüstungen. „Tut mir sehr Leid, aber daraus wird nichts. Heyia!“ Mit diesen Worten gab sie ihrer Stute erneut die Sporen und so schoss das Tier wuchtig durch den Wall, den die Dunkelelfen vor ihm aufgebaut hatten. Keiner vermochte es, das Pferd aufzuhalten, auch wenn sie es aufopferungsvoll versuchten. Im Laufduell waren die Spitzohren genauso unterlegen. Sie hatten es also doch noch geschafft. Peter verdankte der Fremden seine Freiheit und nicht zuletzt sein Leben. Blondes Haar wallte aus ihrem kunstvoll geschmiedeten Silberhelm. Mit ihrer zierlichen, rechten Hand hatte sie den Arm des Franzosen fast in mütterlicher Manier fest im Griff, den dieser gedankenschnell um ihre Hüfte gelegt hatte, als ihr Ross kurz zuvor pfeilschnell aus der Festung stürmte. Das karge, staubige Stadtbild wich mehr und mehr fruchtbarer Graslandschaft. Es war eine Genugtuung sich von der feindseligen Umgebung in Vyers zu entfernen. Eva steuerte zielstrebig auf den Waldrand zu, der – trotz noch großer Entfernung – dank des kristallklaren Himmels am Horizont sichtbar wurde. Blicke über seine Schulter beruhigten den Jungen zusätzlich, niemand schien den Angreifern zu folgen. Doch gerade als sich Peter in Sicherheit wog, wurden Ross und Reiterin in einem Moment der Unachtsamkeit von einer primitiven aber gefährlichen Falle überrascht, meisterlich versteckt in der Landschaft dieses Gebietes. Der grüne Boden unter den Hufen des Pferdes gab nach, als dieses seine Vorderbeine auf den schier unsichtbaren Gefahrenbereich setzte. Vornüber stürzte die braune Stute in den Abgrund hinab. Die Kraft des Sturzes schleuderte Peter in hohem Bogen über die Falle hinweg und ließ ihn hart auf festem Boden aufschlagen. Benommen und beinahe bewusstlos vor Schmerz versuchte der Franzose verzweifelt, seine Sinne zu ordnen. Ohne Zeitgefühl und mit getrübter Wahrnehmung kroch er orientierungslos auf dem Boden umher. Es war ein unwirkliches Gefühl, so als befände man sich auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Ständig schritt er über diese Grenze und wieder zurück ... Schwärze ... der blaue Morgenhimmel ... und wieder Dunkelheit ... ... Die blonde Frau; sie war am Leben; ihr Helm lag weit von ihr entfernt. Peter meinte erkennen zu können, dass sie bitterlich weinte ... Jemand richtete ihn auf, stützte seinen tauben Körper ... Da war ein weißes Pferd ... Er saß zwischen Eva und ... einem Fremden ... Ein Fremder ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)