Broken Sky von PumaDAce ================================================================================ Kapitel 1: Das Geschöpf aus der Erde ------------------------------------ Erstes Buch: Das Geheimnis 1 Das Geschöpf aus der Erde Ein Scharren im Staub, von niemanden gesehen, kaum hörbar. Ryushi fror, sein Körper wurde steif. Die Fingerknöchel waren schon ganz weiß. Er hielt den griff seines Schwertes fest umklammert. Langsam verengten sich seine Augen. Er wendete den Kopf, blickte über die Schulter zur Quelle des Geräusches. Es kam nicht wieder. Darauf hätte er auch kaum hoffen können. Er war froh seinen Verfolger überhaupt wahrgenommen zu haben. Ryushi bewegte sich geräuschlos, änderte die Richtung und wich dabei den großen, geschwungenen Ästen der dicht stehenden Bäume aus. Die Sonne strahlte in tanzenden Intervallen durch das Dach aus flachen ovalen Blättern, blendete ihn für einen Moment und verschwand dann wieder. Hoch oben hingen faustgroße Kujafrüchte jeweils zu dritt in ihren fasrigen Schalen, Drillinge aus saftigem Purpur, die in der Sommersonne reiften. Schweiß rann vom Ansatz seiner Haare über die Stirn. Er blinzelte ihn weg, schielte, als ein salziger Tropfen in seine Augen brannte. Dann strich er mit einer Hand durch seine blonden Stachelhaare, um zu verhindern, dass weitere Schweißperlen über sein Gesicht rannen er konnte sich jetzt keine Ablenkung leisten. Dafür war sein Feind zu gefährlich. Leise schritt er durch den Wald, bewegte sich ständig im Kreise und schlich an den schmalen, biegsamen Stämmen der Kujabäume entlang. Wenn er vorsichtig und vor allem leise genug war, konnte er vielleicht hinter seinen Gegner gelangen. Schließlich würden seine Verfolger davon ausgehen, dass er seine Richtung beibehielt. Sie wussten nicht, dass er sie gehört hatte. Dann würde man ja sehen, wer Jäger war und wer der Gejagte. Als er zu der Stelle kam, wo er das Geräusch gehört hatte, hielt er sein Schwert bereit und schob mit der Hand das Blätterwerk beiseite. Nichts. Nichts war da, außer einem Kokoko, der in der Erde und im Gras rund um die Wurzeln einen Baumes nach Futter suchte. Er stand aufrecht auf seinen Hinterfüßen, als Ryushi auftauchte. Große silberne Augen inmitten pechschwarzen Fells starrten ihn an. Der Kopf war eigenartig zur Seite geneigt. Der Kokoko fauchte, zog seinen Schwanz ein und flitzte dann den Stamm des Baumes hoch bis in das obere Geäst. Nicht hier?, dachte Ryushi. Wo dann...? Er atmete kaum noch, war ganz ruhig. Selbst das Geräusch der Luft, die aus seinen Lippen strömte, schien ihm noch zu laut zu sein. In dem sanften rauschen des Waldes, inmitten der Schreie der Vögel und dem Geschnatter der Kokokos, die auf den Kujabäumen lebten, stand er da und lauschte. Von hinten kam ein Rumpeln, so leise, dass es fast unhörbar war, aber schnell lauter wurde, immer schneller. Er sah sich verzweifelt um, aber der Wald war so ruhig und sonnig wie immer. Woher? Woher kam es? Er schaute hinunter auf den Boden zu seinen Füßen, stockte in dem Moment, als ihm die Erkenntnis dämmerte, und wusste plötzlich, was geschah. Eine Fontäne aus Erdklumpen, Gras, Blättern und Dreck schoss direkt vor ihm in die Höhe und der Boden brach unter ihm auf. Aber Ryushi sprang bereits mit einen Salto durch die Luft und landete einige Meter weiter weg. Sein Schwert hielt er in Kampfbereiter Haltung beidhändig vor sich. Dann wurde es wieder still im Wald. Ryushi wartete. Er blickte unverwandt auf das riesige Erdloch. Eine Zeit lang herrschte Ruhe. Dann ertönte aus der Spalte, die sich im Boden des Waldes geöffnet hatte, ein basstiefes Ächtzen. Ein Paar riesige brauner Hände reckte sich empor und grub sich in die erde. Langsam kam sein Gegner zum Vorschein, erst der Kopf, dann die Schultern. Die Kreatur wuchs immer mehr aus dem Boden heraus, bis sie in voller Größe Ryushi weit überragte. Sie schüttelte sich, schleuderte Klumpen von Schlamm und Gras von den massigen Schultern. Dann forderte sie Ryushi brüllend zum Zweikampf heraus. Ryushi machte verblüfft einen Satz zurück und murmelte einen Fluch. Die Kreatur war mindestens vier Meter hoch, ein Wesen aus Dreck und Wurzeln, mit breiten, baumstammähnlichen Füßen und riesigen plumpen Händen. Eine struppige Mähne aus Gras ergoss sich über Gesicht, schultern und Rücken. Seine Augen waren nicht viel mehr als Löcher, aber sie folgten Ryushi gnadenlos, als der zurückwich, und der Mund glich einer Grube aus schroffem Gestein. Ein Golem. Der größte, den Ryushi je gesehen hatte. JETZT GIBT ES KEINEN AUSWEG MEHR, RYUSHI, knurrte sein Gegner. Ryushi hatte nur einen winzigen Augenblick Zeit, um sich von der Überraschung zu erholen. Viel schneller, als erwartet hatte, sauste eine faust, die größer war als sein Kopf, auf ihn nieder. Er schrie auf und warf sich zur Seite. Er war noch in der Bewegung, als sie genau da in den Boden krachte, wo er eine Sekunde zuvor gestanden hatte. Die Bäume erzitterten. Kaum war Ryushi wieder auf die Füße gekommen, als ein zweiter Schwinger mit der Kraft, die Felsen pulverisieren konnte, auf ihn zukam. Er ließ sich prompt wieder zu Boden fallen und spürte, wie die Faust des Golems nur Zentimeter über seinen Kopf vorbeisauste. Da stimmt was nicht! Er ist zu schnell!, dachte Ryushi und wich einem weiteren Schwinger aus. Der Golem ließ ihn keinen Moment zur Besinnung kommen und zwang ihn sich zu ducken um auszuweichen. Früher oder später würde er einen Fehler machen, und das wäre sein Ende. Wieder verfehlte ihn ein Schlag nur knapp. Er musste zurückweichen und hatte keinen Platz sein Schwert zu schwingen. Er keuchte. Unaufhörlich tropfte der Schweiß von seiner Stirn und Ryushi versuchte wenigstens Raum zum Atmen zu bekommen . . . Sein Vorhaben wurde jäh vereitelt. Mit der Ferse stieß er gegen eine Baumwurzel, verlor das Gleichgewicht und strauchelte rückwärts. Au-aaa! Die Wucht des nächsten Hiebes riss Ryushi von den Füßen. Er prallte gegen die Äste und Sträucher des Waldes, flog durch das Geäst der Kujabäume, die umgeknickten, als wären es Bambusstäbe, und fiel krachend auf die flache Oberkante eines Felsvorsprungs. Nur eine Energieblase um sich herum verdankte Ryushi, dass er nicht wie die Bäume pulverisier wurde. Er hangelte von dem Felsen herunter und klopfte sich mit den Händen ab. Der Golem bahnte sich einen Weg durch den Wald, drückte dabei mit seinen mächtigen Schultern ganze Bäume beiseite und brüllte vor Zorn. „Okay“, sagte Ryushi ruhig. „Jetzt ist es genug.“ Er steckte sein Schwert in die Scheide und ging dem Ungeheuer langsam entgegen. Die Luft um ihn herum fing an zu summen, als die Spiritsteine entlang seines Rückens Kraft aus der Erde tankten und sich wie Batterien aufluden. Seine Augen waren hart wie Feuersteine und er war ganz ruhig angesichts des inneren Sturms, der sich seiner bemächtigte. Er ballte die Faust, spürte, wie sie zitterte, als er die Energie in sie fließen ließ. Er beschleunigte seine Schritte, bahnte sich eine Schneise durch die gefällten Bäume, erhöhte sein Tempo weiter und ging schließlich Hals über Kopf zum Angriff über. Der Golem, mindestens zweimal so groß wie Ryushi, blökte und stürmte ihm jetzt entgegen, ein watschelnder Koloss aus Schutt. Ein Kriegsruf entfuhr Ryushis Lippen, wandelte sich zu einem gellenden Schrei, als die beiden Gegner mit einer Wucht, die den Wald um sie herum erbeben ließ, ineinander krachten. Einen Moment lang war nichts außer einem Dunstschleier aus Holzstaub und wirbelnden Blättern zu sehen, die langsam zu Boden fielen. Dann schlug ein Erdklumpen ein. Und noch einer. Sekunden später regnete es Geröll, Schlamm und Wurzeln. Alles klatschte mit Wucht auf den Waldboden oder in das Geäst der Bäume. Die Kokokos schnatterten in Panik und sausten in die oberen Wipfel hinauf. Aber der Angriff auf ihre Nistbauten war bald vorbei. Der Wald beruhigte sich wieder. Ryushi stand reglos da. Seine blonden Stachelhaare standen wirr von seinen Kopf ab. Nichts war vom Golem übrig geblieben. Nach einigen Augenblicken fiel Ryushi auf die Knie und sank erschöpft auf den Waldboden. Eine lange Minute konnte er überhaupt nicht denken. Er spürte nur, dass er so müde war, dass seine Knochen schmerzten. Aus seinem Körper war jeder Funke Energie herausgesogen. Er versuchte mühsam sich vom Boden zu erheben, aber seine Arme zitterten und ließen ihn im Stich. Er plumpste zurück und blieb mit dem Gesicht im Dreck liegen. „Gotcha!“, ertönte eine Stimme hinter ihm. Er spürte, wie ein Gegenstand hinten auf sein Genick gepresst wurde. Er rollte zur Seite. Ein Mädchen von sechzehn Wintern- so alt wie er selbst- blickte auf ihn herab. Es hielt einen langen, glatten Stock an Ryushis Kehle: einen Bo-Stab. Einen Moment später seufzte das Mädchen, legte die Waffe zur Seite und ließ sich mit den Knien auf seine Brust fallen. Es hatte schmale, hübsche Gesichtszüge und große grüne Augen, die hinter einer dunkelroten Haarmähne verborgen waren. Seine Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln. „Du musst lernen dich selbst unter Kontrolle zu haben, Bruderherz“, sagte das Mädchen. „Du hättest nur die halbe Kraft benötigt, um meinen Golem zu besiegen. Du darfst dich nicht unnötig verausgaben! Sonst machst du dich am Ende noch völlig kaputt.“ Ryushi schob seine Schwester weg und stand auf. „Freu dich nicht zu früh, Kia. Das wird mir nicht wieder passieren.“ „Es ist schon sechsmal hintereinander passiert“, antwortete sie und lachte. „Glaub mir. Ich werde meine Chance nutzen!“ Ryushi hatte gerade den ersten Schritt getan, als ihm erneut die Füße versagten. Er strauchelte und musste sich eilig wieder hinsetzen. „Siehst du?“, beharrte Kia. „Du bist schwach wie ein Hünchen.“ „Und wie kommt es, dass du plötzlich so viel besser geworden bist?“, fragte er seine Schwester zornig. „Dieser Golem war der größte, den du je hervorgebracht hast. Und bislang konnte nie einer deiner Kreaturen sprechen!“ „Ich habe ihm einen besonderen Schliff gegeben. Hat er dir gefallen?“, strahlte sie. „Er hat mich aus der Fassung gebracht“, antwortete er. „Das sollte er ja auch!“ Ryushi verfiel in mürrisches Schweigen. „Jetzt hab dich nicht so!“, hänselte Kia ihren Bruder und neckte ihn mit ihren Bo-Stab. „Du brauchst nur etwas mehr Übung!“ „Du brauchst nur etwas mehr Übung“, äffte er sie grob nach und wiegte dabei seinen Kopf hin und her. „Genieße es, solange du noch kannst, Schwesterlein. Bald hab ich das Problem gelöst und dann wirst du schon noch sehen, wer besser ist.“ „Oh, du bist ja wirklich ehrgeizig“, sagte sie. „Ich mag die Art, wie ihr Jungs mit so was umgeht. Wirklich, ich bin sehr beeindruckt!“ „Wie nett“, antwortete Ryushi und rammte sein Schwert in den Boden. Kia seufzte, stand auf und stützte sich auf ihren Stab. „Hör auf zu schmollen. Wir müssen nach Hause zurück. Vater und Takami werden jeden Moment aus Tusami City zurück sein. Wir sollten sie begrüßen.“ „Ach wirklich? Darauf kann ich gern verzichten“, entgegnete Ryushi eigensinnig. „Komm schon! Oder bist du immer noch sauer auf sie?“, sagte Kia. Ryushi erhob sich etwas unsicher vom Boden und sein Schwert in die lederne Scheide. „Du weißt, wie sehr ich mir gewünscht hatte mitkommen zu dürfen“, sagte er. „Ja, das weiß ich“, sagte Kia verständnisvoll. „Aber unsere zeit wird kommen, Bruder. Denk daran, Takami ist ein paar Winter älter als wir. Vater wird uns mitnehmen, wenn wir alt genug sind. Hab Geduld.“ Ryushi rieb sich den Nacken, der Schweiß trocknete und ließ seine Haut prickeln. „Ich kann es nun mal nicht ertragen, dass Takami so selbstgefällig ist. Er kommt zurück, macht alle möglichen Andeutungen über das, was sie unterwegs alles erlebt haben und was ihnen passiert ist. Du weißt, wie er ist. Nur weil er älter ist, glaubt er uns gegenüber den großen Chef markieren zu können.“ „He, Bruderherz! Achte einfach nicht drauf!“, antwortete Kia und schlang ihren Arm freundschaftlich um seine Schulter. „Er ist nur älter als du, er ist nicht besser als du! Takami ist bloß eifersüchtig, weil du eine wundervolle Zwillingsschwester hast und er nicht!“ „Ja ja, das wird es sein!“, sagte Ryushi. Er schien seine trübsinnigen Gedanken abzuschütteln, denn plötzlich lächelte er wieder. „Sein Leben muss ein Elend sein, ohne jeden Tag das netteste, intelligenteste und vor allem cleverste Mädchen um sich zu haben.“ „Weiß das genau“, sagte Kia und schubste ihn neckisch. „Deshalb gewinne ich ständig.“ Er zuckte die Achseln. „Ich bin hungrig. Glaubst du, dass Tante Susa ihren Siebenbeerenkuchen gemacht hat, den Vater so gerne mag?“ „Wahrscheinlich. Wann hat Tante Susan einmal nicht wenigstens drei ihrer Kuchen im Backofen?“ Kia sah sich auf der Lichtung um. Der Zusammenprall zwischen Golem und Ryushi hatte eine ordentliche Verwüstung angerichtet. Überall lagen gefällte Bäume. Hoch oben in den Ästen der Kujabäume hörte sie das ängstliche Gezirpe der Kokokos. „Ich glaube, wir sollten uns ein neues Trainingsgelände suchen,“ sagte sie. „Wenn wir weiter hierher kommen, roden wir noch den ganzen Wald.“ Ryushi ging zu einem der umgehauenen Kujabäume, griff in sein Laub und zog eine dicke Frucht heraus. Er knackte die Schale auf und holte eine der saftigen, purpurroten Kujafrüchte heraus. Eine andere warf er Kia zu. „Es ist nicht alles schlecht“, sagte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)