Tage im Mai von -Mirabelle- (Die absolute Kitsch-Geschichte. Nein, nicht nur Barbara Wood kann so was schreiben, ich kann das auch!) ================================================================================ Kapitel 1: Tage im Mai ---------------------- Tage im Mai Jeanne seufzte leise auf. Als sie letztes Jahr bei ihrer Großmutter in Frankreich zu Besuch gewesen war, waren die Sterne ja schon schön gewesen, aber das war nichts im Vergleich zu der leuchtenden Pracht an Osterodes Himmel. Hier auf dem Friedhof hatte man einfach die beste Sicht auf den Nachthimmel. Jetzt saß sie hier vor dem Grab ihres Bruders und blickte in die Sterne. Tränen bahnten sich ihren Weg über die Wangen der 15-jährigen. So lange war er nun schon tot, ihr kleiner nervtötender Bruder, mit dem sie sich immer nur gestritten hatte. Aber doch vermisste sie diese kleine Plage. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, versuchte aber sich zu beruhigen. Plötzlich spürte sie eine warme Hand auf ihrer Schulter. Jeanne blickte auf und sah in das besorgte Gesicht eines 16-jährigen Jungen. Miro reichte ihr ein Taschentuch und lächelte sie aufmunternd an. Ja, da waren sie. Ihre vier lieben Freunde, die sie jedes Jahr wieder zum Friedhof begleiteten um ihr zu zeigen, dass sie nicht alleine war. Jetzt war sie einmal mehr froh darüber, sich entschieden zu haben nach Osterode zu ziehen. Andernfalls hätte sie diese vier Chaoten wohl nie kennen gelernt. Jeder von ihnen hatte irgendeine bescheuerte Macke. Miros Arroganz war an menschlichen Maßstäben bereits nicht mehr messbar. Er war noch arroganter als Jeanne selbst, was auch oft zu Streit zwischen den Beiden führte. Der schüchterne Engländer Lyserg hatte einen Tick mit der Farbe Türkis. Er hatte sich sogar türkise Strähnen in die blonden Haare färben lassen. Seine Freundin Marion war immer etwas düster drauf. Sie trug ständig schwarz, vorsätzlich mit Rüschen oder zumindest ein bisschen Tüll. Eine echte Gothic Lolita wie sie im Buche steht. Mia war zwar unverzichtbar, weil sie eine streitschlichtende Stellung in der Clique innehatte, aber ihre übergroße Vorliebe für Schuhe war dann doch schon etwas nervig. Miro meinte einmal, sie habe mehr Schuhe als Sterne am Himmel stehen. Trotzdem waren sie alle furchtbar nett und selbst der Spanier wusste wann er den Mund zu halten hatte, auch wenn er es nicht immer tat. Jeanne richtete sich auf und drehte sich zu ihren Freunden um. Mia und Miro nahmen sie in die Mitte und mit Lyserg und Marion im Schlepptau verließen sie den Friedhof. „Wir sehen uns morgen in der Schule.“, sagte die junge Französin noch, bevor sie sich von Miro verabschiedete und am Drewenzplatz vorbei in Richtung Ostpreußenweg ging. „Du holst mich ab? Was ist das denn? Willst du dich einschleimen?“ Das rothaarige Mädchen blickte leicht erstaunt drein, als der junge Spanier vor ihrer Tür stand. Dieser hob eine Augenbraue bevor er antwortete. „Nein, will ich nicht. Ich hab mir nur Sorgen gemacht. Du warst gestern abend kaum ansprechbar. Kommst du? Sonst kommen wir zu spät.“, erwiderte Miro als er sich zum Gehen wandte. Das verstand Jeanne nun überhaupt nicht. Sonst gifteten sie sich doch immer nur an. Warum macht er sich jetzt plötzlich Sorgen um sie? So verständnisvoll war er doch sonst auch nicht. Die 15-jährige beschloss erst mal nicht darauf einzugehen. Vielleicht war er nur nett zu ihr, um sie nachher doppelt fies zu ärgern. Den ganzen Weg über sprachen sie kein Wort miteinander aber Jeanne bemerkte trotzdem wie Miro sie manchmal so komisch ansah. Anders als sonst. Dieser Blick machte ihr beinahe Angst. Sie sprachen erst wieder als sie in ihrem Klassenraum angekommen waren. Sie setzte sich neben Mia und packte ihre Sachen aus. Drei Schulstunden später schallten zwei wütende Stimmen durch das örtliche Gymnasium. „Leute, echt. Hört auf euch zu streiten. Wegen so einer Kleinigkeit.“, versuchte Mia ihre beiden Freunde zu beruhigen, aber es half alles nichts. Miro und Jeanne schrieen sich weiter an und hörten nicht auf ihre Freundin. Beide hatten mittlerweile angefangen in ihren Muttersprachen zu fluchen. Jeanne auf französisch und Miro auf spanisch. Keiner von beiden verstand was der andere sagte, aber das interessierte sie auch nicht. Mia gab resignierend auf und fing an, die Deutschhausaufgaben abzuschreiben. Lyserg und Marion bekamen davon nicht wirklich viel mit. Die saßen in der Ecke und hatten schon wieder angefangen zu flirten. Den Rest der Klasse interessierte es so ziemlich überhaupt nicht, dass die schon wieder stritten. Als sie dann aber immer lauter wurden, wurden sie von Lars vor die Tür gesetzt, mit den Worten: „Wenn ihr euch schon streiten müsst, dann tut es woanders, aber nicht hier. Geht ein bisschen an die frische Luft. Das tut gut.“ Die beiden Teenager sahen sich einen kurzen Moment lang an. Dann drehten sie sich in die entgegengesetzte Richtung und verschwanden für den Rest der Pause spurlos. „Mann, wieso müssen die sich immer streiten? Die könnten glatt verheiratet sein!“ – „Komm, frag nicht, Mia. Du kriegst eh keine Antwort auf. Die streiten sich doch gerne.“, hörte Jeanne ihre Freundin Marion sagen, als sie kurz nach dem Klingeln zurück in die Klasse kam. Miro war noch nicht wieder da. Missmutig setzte sich das Mädchen an seinen Platz und packte seine Französischsachen aus. Erst jetzt hatte Marion bemerkt, dass ihre Freundin zurück in die Klasse gekommen war. Sie setzte sich neben die Französin und schaute sie durchdringend an. „Was ist? Hab ich was im Gesicht?“, fragte diese, als sie merkte das sie angestarrt wurde. „Nein. Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Du warst gestern abend kaum ansprechbar.“ Also, doch. Jeannes Freunde merkten es aber auch sofort, wenn etwas nicht stimmte. Natürlich hatte sie auf dem Friedhof kaum etwas realisiert, doch das hatte nicht an der Trauer über den Tod ihres Bruders gelegen. Es lag eher an Miro. Er hatte sich um sie gesorgt, daran bestand kein Zweifel, aber das hätte er ihr nie einfach so gesagt. Dafür war er viel zu stolz. Sie kannten sich jetzt schon seit fünf Jahren, doch bisher war er nie nett zu ihr gewesen. Da kam Jeanne ein anderer Gedanke. Vielleicht war er auch die ganze Zeit schon gewesen, nur hatte sie es nie bemerkt. Aber warum dachte sie gerade jetzt so sehr darüber nach? Ihre Gedankengänge wurden von Miro unterbrochen, der sich plötzlich neben sie setzte und sie interessiert musterte. Sie hasste ihn. Sie hasste ihn aus tiefster Seele und sie würde sich nie mit ihm vertragen. Sie hasste seine angeberische Art, seine überflüssigen Kommentare und vor allem seine maßlose Arroganz. ‚Aber wahrscheinlich’, dachte sie verdrießlich, ‚wahrscheinlich hasse ich ihn nur weil er der einzige ist der sich nicht von mir unterbuttern lässt.’ “Na, Hexchen? Bist du wieder auf dem Teppich oder müssen wir dich noch mal an die Luft setzen?“ Von wegen nett. Dieser Mistkerl! „Wenn ich mich recht erinnere hast du angefangen.“, gab die Französin mit giftigem Ton zurück. „Du musst nicht immer überreagieren nur weil ich dich ein bisschen trieze. Natürlich hab ich angefangen, aber du weißt doch, dass ich das nur mache um dich zu ärgern.“ Sicher wusste Jeanne, dass er sie nur ärgern wollte, aber es nicht ernst meinte, doch sie war nun mal von Natur aus streitsüchtig. Sie schrie ihn ja gerne an und sie war sich sicher, dass das auch auf Gegenseitigkeit beruhte. „Ich lasse mir einfach nicht alles gefallen.“ – „Von mir lässt du dir ja eh nichts gefallen. Egal was ich sage, es ist falsch. Warum versuche ich eigentlich noch mit dir auszukommen? Es bringt ja doch nichts.“ „Ach, sagst du mir noch mal was die dritte Beleidigung bedeutet hat?“, fügte er mit einem süffisanten Lächeln hinzu, „Das habe ich nicht ganz verstanden.“ Jeanne sah ihn finster an. Die Sonne knallte unerbittlich auf die fünf Teenager herab und trieb damit den jungen Engländer in den Wahnsinn. „Meine Güte, ist das ein Backofen hier. Mari, wie hältst du das bloß aus in deinen schwarzen Klamotten?“, meckerte Lyserg jetzt schon zum achten Mal. Seine Freundin seufzte einmal kurz und rückte ein Stück zur Seite, damit der blonde Junge sich zu ihr in den Schatten setzen konnte. Für den Spanier war diese Hitze kein Problem und die Französin fror sowieso immer. Da waren die paar Grad mehr sehr angenehm für sie. Marion, Mia und nun auch Lyserg hatten sich einen schönen Platz im Schatten gesucht, um dort darauf zu warten, dass die gutmütige Mia eine Runde im Eiscafé ausgab. Lange warten mussten sie auch nicht mehr, denn dieser wurde es langsam zu warm. „Wollt ihr ein Eis? Ich lad euch ein!“, sagte das schwitzende Mädchen. Da war Lyserg sofort wieder auf den Beinen und zerrte Marion und Mia augenblicklich in Richtung Eisdiele. Jeanne weckte den bereits schlafenden Spanier und folgte ihren Freunden an einen Tisch im Schatten. Miro verbannte sie an den einzigen Platz, der nicht im Schatten lag. Dieser hatte dafür nur ein leises Knurren übrig und schnappte Marion die Eiskarte aus der Hand. Das blonde Mädchen streckte ihm die Zunge raus und schaute zusammen mit Mia in die Karte, die Jeanne vom Nebentisch gefischt hatte. Nachdem sie ihre Eisbecher bestellt hatten, lehnte Miro sich an die Schulter seiner Nachbarin und fing an zu dösen. Dieser passte das aber überhaupt nicht, sodass sie ihn kurzerhand zu Lyserg rüberschob. Marion, die bereits ihren Fotoapparat aus der Tasche geholt hatte, stand auf und legte den Schwarzhaarigen wieder an die Schulter der genervten Französin. Noch bevor diese auch nur ein Wort sagen konnte, hatte Mia die Kamera in der Hand. Jeanne wollte gerade empört zu einem Protest ansetzen, als der schwarze Apparat auch schon blitzte. Lyserg und Marion rutschten zu Mia herüber um sich das Foto anzusehen, während die Französin förmlich explodierte. „Seid ihr bescheuert, oder was?! Nehmt diesen...diesen...dieses Etwas von mir weg!“, kreischte sie aufgebracht. „Schrei nicht so, Jeanny. Jetzt hast du mich aufgeweckt.“, meldete sich nun auch Miro zu Wort. Während Jeanne zu einer weiteren garstigen Antwort ansetzte, quatschte Lyserg schon wieder dazwischen. „Na, gut geschlafen?“ – „Aber immer doch, bei so einem hübschen Kopfkissen.“, erwiderte der Spanier mit einem überaus zweideutigem Lächeln. Jeanne wollte gerade aufspringen und Miro mit dem nächsten Stuhl erschlagen, als die Bedienung mit dem Eis kam. “Bei Zotta gibt es echt das beste Eis der Welt, oder?“ – „Also, in England gibt es eine Eisdiele, die-“ – „Klappe, Lyserg. Warst du schon mal in Vrsar? Da ist das Eis echt super!“ – „Wo liegt das denn?“ – „In Kroatien, du unterbelichteter Idiot!“ Zwei Stunden und drei Eisbecher später hatten die Gymnasiasten sich endlich auf ein bestes Eiscafé geeinigt: Zotta. “Oh! So ein Mist. Es ist schon halb sieben und ich habe noch keine einzige Hausaufgabe gemacht! Wir sehen uns morgen in der Schule, ich muss jetzt echt los.“, sagte Mia, als sie nervös auf die Uhr schaute. Zehn Minuten später überquerten Jeanne und Miro den Zebrastreifen der Bahnhofstraße. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Die Französin machte sich langsam wirklich Sorgen. Sonst hatte sie sich grundsätzlich mit ihm gestritten, egal ob sie allein waren oder nicht, aber jetzt wagte sie ja noch nicht einmal ihn anzusehen. Was war nur mit ihr los? Sie riskierte einen kurzen Blick zu Miro. Auch er sah nachdenklich aus. Jeanne verfiel wieder in ihre Gedanken. Was sie nicht wusste war, dass der Spanier ganz ähnliche Gedanken verfolgte. Nur hatte dieser früher gemerkt, dass etwas nicht stimmte und im Gegensatz zu Jeanne, wusste er auch was es war. „Jeanne! Telefon!“, rief die Mutter der 15-jährigen Französin, welche kurze Zeit später ihm Wohnzimmer saß und mit Lyserg, Mia und Miro in Telefonkonferenz stand, um zu entscheiden, welchen Film sie sich im Kino ansehen wollten. Mia bestand darauf, diesen neuen blutigen Krimi zu sehen. Lyserg sprach für sich und seine Freundin Marion, als er den Vorschlag äußerte, doch Karten für die Neuverfilmung von ‚Romeo und Julia’ zu kaufen. Daraufhin prasselten augenblicklich die wildesten Beschimpfungen auf den jungen Engländer nieder, denn niemand wollte sich an einem Donnerstagabend eine derartige Schnulze im Kino ansehen, zudem sie den morgigen Freitag schulfrei hatten. Miro meinte, sie sollten sich doch so einen Horrorthriller ansehen. Jeanne unterbrach Mias und Marions Proteste und verlängerte das Gespräch um weitere 20 Minuten, da sie steif und fest auf einen Film von Alfred Hitchcock bestand. Letztendlich einigten sie sich darauf, erst ‚Romeo und Julia’ (sonst wäre Marion wohl in Heulkrämpfe verfallen) und danach Jeannes Lieblingsfilm ‚Die Vögel’ (Miro war hellauf begeistert) zu sehen. Die fünf Teenager standen also um halb sieben am Bahnhof um auf den nächsten Zug nach Braunschweig zu warten. Mia war immer noch gekränkt, dass sich keiner für ihren Krimi begeisterte, sodass sie sich beleidigt neben einem älteren Herrn niederließ und ab und giftige Blicke zu ihren Freunden herüberwarf. Jeanne blieb also nichts anderes übrig, als sich neben den verhassten Spanier zu setzen. Bereits nach zehn Minuten Fahrt war ihr schrecklich langweilig geworden, also nahm sie Zettel und Stift aus der Tasche und fing an, mit Miro Käsekästchen zu spielen. Eine Dreiviertelstunde später standen sie auf dem Braunschweiger Bahnsteig und entschieden anhand des Stadtplans, welche Buslinie sie am schnellsten zum Kino bringen würde. Nach einer viertelstündigen Diskussion beschloss Mia den nächstbesten Passanten um Rat zu fragen, welcher sie auch gleich in die richtige Richtung schickte. „In Spanien kannst du das nicht machen. Spanier geben lieber eine falsche Auskunft, als gar keine. Allerdings können wir auch Stadtpläne lesen.“, meinte Miro nur, als Marion ihn fragte, warum sie nicht gleich jemanden um Hilfe gebeten hatten. „Es ist nur schade, dass diese spanische Höflichkeit an einer gewissen Person vorbeigegangen ist.“ – „Weißt du Jeanny, das kommt, weil ich zu lange in Deutschland war. In Spanien gibt es höfliche Leute im Überfluss, hier hast du als zuvorkommender Mensch keine Chance. Aber ich bin erst so seit ich dich kenne. Kommt mir das nur so vor, oder bringst du die schlechten Eigenschaften der Menschen ans Licht?“ Jeanne schluckte die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, runter und zerrte Mia in die Richtung, in die der Passant sie geschickt hatte. Als sie dann endlich im Kinosaal saßen war es bereits fünf vor acht. Mia hatte sich in die Ecke verkrümelt und die beiden Südeuropäer saßen am Gang, damit sie Notfalls aus dem Raum flüchten konnten. Während des Filmes warf Jeanne dem Spanier mehrmals nervöse Blicke zu. Es war ihr nicht wohl bei der Tatsache neben ihm sitzen zu müssen. Normalerweise nutzte sie solche Gelegenheiten sofort aus um ihn zu ärgern, doch diesmal tat sie es nicht. Was war nur mit ihr los? Jeanne verstand die Welt nicht mehr. Sie war so mit ihren Gedanken beschäftigt, dass sie vor Schreck fast vom Sitz gefallen wäre, als Miro sie am Arm berührte. „Was ist?“, fauchte sie ihn an. Es beruhigte sie ungemein, dass sie immerhin noch garstig zu ihm sein konnte. Er lächelte leicht und nickte mit dem Kopf in Richtung Mia. Jeanne musste bei diesem Anblick leise kichern. Mia war eingeschlafen und lehnte mit dem Kopf an der Schulter ihres Nachbarn. Die Französin sah noch einmal genauer hin, dann erkannte sie den Jungen, den Mia fälschlicherweise für ein Kopfkissen hielt. Es war ihr Cousin Henry. Er war bereits 19 und hatte seine Abiturprüfungen schon fast abgeschlossen. Nachdem sie Miro von ihrem Cousin erzählt hatte, verbrachten sie den Rest dieser dreieinhalbstündigen Folter damit, Pläne zu schmieden, mit denen man Henry und Mia verkuppeln könnte. „Endlich vorbei! Ich hab dieses ewige Gesülze ja schon fast nicht mehr ausgehalten. Ich geh noch mal Popcorn holen. Soll ich euch was mitbringen?“ Miro war sichtlich erleichtert, dass der Film endlich vorbei war. Lyserg und Jeanne gaben ihre Bestellungen bei Miro ab, während Mia sich dreißigtausendmal bei Henry für ihre Dreistigkeit, ihn als Kopfkissen benutzt zu haben, entschuldigte. „Mia! Komm jetzt endlich. Wir wollen den Film heute noch sehen!“, fauchte Marion und zog Mia von Henry weg. Murrend folgte diese ihren Freunden in den nächsten Kinosaal, setzte sich in die Ecke und legte sich die Jacke über den Kopf. „Warum legt sie sich ihre Jacke über den Kopf?“, fragte Jeanne erstaunt und drehte sich zu Miro herum, der sich gerade mit einer Popcorntüte neben sie gesetzt hatte. „Ich bin mir sicher, dass sie Angst hat. Schau, die beiden Turteltäubchen sitzen ziemlich nah am Ausgang. Ich wette, die wollen mitten im Film von hier verschwinden. Du weißt ja, Marion erträgt doch keine Horrorfilme und Lyserg kann seine Geliebte unmöglich alleine lassen.“, erwiderte dieser und warf einen überheblichen Blick zu Lyserg und Marion herüber. Knapp zwei Stunden später saßen sie wieder im Zug zurück nach Osterode. Nachdem Jeanne zum dritten Mal beim ‚Stadt-Land-Fluss’ verloren hatte, kamen sie auf die ‚Drei Freundlichen Tage’ zu sprechen. Marion hatte ein Programm in der Tasche mit dessen Hilfe sie sich entschieden zum ‚Alten Schulhof’ zu gehen, da man dort die Musik spielte, die sie alle gerne hörten. „Und zur Not,“, sagte Mia, „zur Not können wir auch zu der Bühne auf dem Kornmarkt gehen. Das ist ja auch gleich um die Ecke.“ Sie verabredeten sich für acht Uhr bei Mia, die als einzige in der Innenstadt wohnte. Auf dem Nachhauseweg schaute Jeanne immer wieder zu ihrem Weggefährten herüber und hoffte, er würde es nicht bemerken. Sie war froh als sie sich endlich von ihm verabschieden konnte, denn langsam kam ihr der Gedanke, dass sie nahe dran war, sich in Miro zu verlieben und genau das versuchte sie mit allen Mitteln zu verhindern. Sie wollte ihn nicht lieben, sie wollte ihn weiterhin hassen und ärgern und garstig zu ihm sein. Sie wollte beim besten Willen nicht, dass sich an diesem Verhältnis etwas ändert. Mit diesen Gedanken fiel sie schließlich in einen tiefen traumlosen Schlaf, aus dem sie erst nachmittags wieder erwachte. Um halb acht drehte Jeanne den Schlüssel im Schlüsselloch herum und packte ihn in ihre Tasche. Ihre Eltern waren zu einer Hochzeit eingeladen, also musste sie gleich doppelt abschließen. Sie stellte sich an die Kreuzung zur Lindenstraße und wartete dort auf Miro. Dieser kam wenige Minuten später auf sie zu und sie machten sich nach einer kurzen Begrüßung auf den Weg zu Mia. Sie unterhielten sich über das Biologie-Referat, welches ihnen am Donnerstag aufgegeben wurde. Sie sollten einen einstündigen Vortrag über ein bestimmtes Insekt halten. Sie mussten Tafelbilder, Arbeitsblätter, Folien und Texte vorbereiten und somit eine Stunde lang die gesamte Klasse unterrichten. Miro hatte bereits einen Text über den inneren und äußeren Aufbau der Reblaus ausgearbeitet, von dem er ihr jetzt erzählte. Jeanne hörte jedoch kaum zu, denn sie war viel zu erleichtert darüber, dass sie ihr Referat mit Lars und nicht mit Miro machen musste. Schließlich sah ihn auch so schon öfter als sie es ertragen konnte. Um fünf vor acht waren die beiden Teenager bei Mia angekommen und warteten mit ihr und Lyserg auf Marion, die eine Viertelstunde später an der Tür klingelte. Später standen sie alle zusammen auf dem ‚Alten Schulhof’ und lachten und scherzten. Mia hatte als erste eine Runde für ihre Freunde ausgegeben und trank selber eifrig mit, so wunderte es niemanden, dass sie dreieinhalb Stunden später nur noch Blödsinn redete. Während Marion das ‚schwebende’ Mädchen nach Hause brachte, blickte Jeanne sich mehrmals zu Miro um. Es machte sie nervös, alleine neben ihm zu stehen(Lyserg war etwas zu essen holen gegangen). Leider schien der Spanier ihre Blicke bemerkt zu haben, denn nach einer Weile fragte er sie, was denn mit ihr los sei, dass sie sich ständig umdrehen müsse. Jeanne spürte wie ihr Gesicht immer heißer wurde und drehte sich weg. Durch den Augenwinkel sah sie, wie Miro eine Augenbraue hob. „Was? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ – „Ähh...also...das ist, weil...ich habe nur...“, stotterte die Französin und verfluchte sich innerlich. ‚Verdammt! Ich kann noch nicht einmal mehr normal mit ihm reden.’, dachte sie panisch, als ihr Gegenüber auch die zweite Augenbraue hob und sie erwartungsvoll ansah. „Also?“ Lyserg rettete sie vor einer Antwort, als er mit ein paar Frühlingsrollen wiederkam. Auch Marion stand zwei Minuten später wieder bei ihnen und Miro schien Jeannes seltsame Reaktion schon wieder vergessen zu haben. Um halb ein Uhr morgens gingen auch Lyserg und Marion nach Hause und da Jeanne nicht länger als nötig mit dem Spanier allein sein wollte, machten sich auch die beiden Südeuropäer auf den Weg nach Hause. Der Rest von Jeannes Wochenende verlief relativ ruhig. Am Samstag hatte sie sich mit Lars getroffen, um ein Tafelbild zum Thema Schwebefliege zu entwerfen und einen Text zur Flugmuskulatur dieses Insektes zu schreiben. Sie erledigte ihre übrigen Hausaufgaben und half ihrem Vater beim Autowaschen. Am Sonntag wurde ihre Urgroßmutter achtzig, also schwang sie sich auf ihr Fahrrad und machte sich auf den Weg nach Förste. Dort wurde sie schon erwartet und mit Kaffee und Kuchen herzlichst empfangen. Am nächsten Morgen tat Jeanne sich sehr schwer beim Aufstehen. Sie war noch zehn Minuten liegen geblieben und frühstückte so langsam, dass ihre Mutter ihr fast die Müslischüssel vor Wut über den Kopf geworfen hätte. Als sie dann endlich das Haus verließ, war es bereits 20 vor acht. Wenn sie sich jetzt nicht beeilte, würde sie garantiert zu spät kommen. Während sie beinahe von zwei Fahrrädern niedergemäht wurde, flehte sie innerlich, dass Miro schon vorgegangen war. Doch dieser stand wie immer an ihrem morgendlichen Treffpunkt und schaute ungeduldig auf die Uhr. „Auch schon da? Wir müssen in fünf Minuten in der Schule sein und ich habe Mathe nicht gemacht. Komm jetzt endlich. Aber warum bist du eigentlich so spät? Ich glaube nicht das du den Wecker überhört hast.“ Jeanne sah ihn so giftig an, wie sie nur konnte. „Was geht dich das an? Bist du meine Mutter? Außerdem müssten wir jetzt eigentlich schon im Klassenzimmer sitzen, nicht wahr? Zudem ist es nicht mein Problem, wenn du deine Hausaufgaben nicht machst.“, erwiderte sie wütend. Sie hoffte nur, dass er nicht merkte das dieser Blick alles andere als ernst gemeint war. „Ehrlich gesagt habe ich jetzt keine Lust in die Schule zu dackeln. Lass uns zu mir gehen. Meine Eltern kommen erst heute Abend wieder.“ – „Bist du bescheuert? Wir können doch nicht einfach die Schule schwänzen! Wir schreiben morgen ne Arbeit!“ – „Na und? Die sind doch froh, wenn sie uns mal für einen Tag los sind. Außerdem schreiben wir nur Französisch. Da solltest die letzte sein, die dafür lernen müsste. Kommst du?“ Jeanne schlug die Hand weg, die er ihr hinhielt, folgte ihm aber trotzdem die Lindenstraße entlang. Sie war schon Ewigkeiten nicht mehr bei ihm zu Hause gewesen, so blickte sie sich erst einmal neugierig um, als sie das kleine Haus betrat. Es hatte sich nicht viel verändert. Miro führte sie in sein Zimmer und verschwand noch einmal in der Küche um Kaffee zu machen. Jeanne sah sich um. Es hangen ein paar neue Poster an der Wand und in der Ecke stand nun eine Gitarre mehr. Dann entdeckte sie ein paar beschriebene Blätter auf dem Schreibtisch. Neugierig nahm sie eines und merkte schnell, dass es ein Tagebucheintrag war. Eigentlich wollte sie den Zettel sofort wieder zurücklegen, doch dann blieb ihr Blick an ihrem Namen hängen. Es interessierte sie ja schon, was er so über sie dachte. Während sie las, kamen ihr beinahe die Tränen. Jeanne ist für mich das wichtigste Mädchen der Welt. Ich wünschte, sie wüsste das. Ich würde ihr am liebsten alles erzählen. Alles, einfach alles was ich für sie empfinde. Es war von Anfang an mehr als Freundschaft. Sie übt eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich aus. Ich weiß nicht was es ist, aber ich habe sie niemals nur als eine Freundin gesehen. Ich konnte mich immer wundervoll mit ihr streiten und wieder vertragen. Aber in letzter Zeit ist sie komisch geworden. Die Atmosphäre zwischen uns hat sich irgendwie geändert. Sie sieht mich fast gar nicht mehr an, als ob sie Angst hätte. Ich hatte es letztens auf dem Friedhof bemerkt. Sie sah mich ganz anders an als sonst. Ihr Blick hatte etwas schutzsuchendes. In diesem Augenblick hätte ich sie am liebsten in den Arm genommen und sie getröstet. Ich wollte sie nur halten und beruhigen. Auch als wir im Kino waren, und an den ´Drei Freundlichen Tagen´ habe ich gemerkt, dass sie sich immer wieder nervös zu mir umgedreht hat. Ich habe sie gefragt wieso. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Sie wirkte den ganzen Abend noch verstört. Sie redet kaum mehr mit mir, dabei kann ich doch nichts anderes mehr tun als das. Ich liebe sie. Mehr als alles andere... „Jeanne?“ Die Französin schreckte auf. Sie drehte sich um und blickte in ein dunkelbraunes Augenpaar. „Du hast es gelesen, oder?“ Zögernd nickte sie und legte das Blatt zurück auf den Tisch. Sie merkte deutlich, wie ihre Augen brannten. Sie wusste was er fühlte. Sie wusste was er dachte. Sie wusste, dass sie das Gleiche dachte und fühlte. Endlich verstand sie, warum sie sich so seltsam verhalten hatte. Plötzlich spürte sie, wie Miro sie am Arm berührte, aber sie drehte sich nicht um. Sie hatte bereits mit den Tränen zu kämpfen und wollte nicht das er sie weinen sah. Sie zuckte leicht zusammen als Miro sie von hinten umarmte und seinen Kopf auf ihre Schulter legte. Er flüsterte ihr spanische Worte ins Ohr, die sie nicht verstand und strich mit der Hand über ihre Wange, um die Träne wegzuwischen. Langsam, ganz langsam drehte die Rothaarige sich um und sah dem 16-jährigen ins Gesicht. Auch seine Augen glänzten. Sie hätte sich dieses Glitzern Ewigkeiten anschauen können. Wieder flüsterte er etwas auf Spanisch und diesmal wusste sie was es hieß. Ohne nachzudenken erwiderte sie die Worte in ihrer eigenen Sprache. Immer und immer wieder wiederholte sie ihren Satz und konnte nicht mehr damit aufhören, wollte nicht damit aufhören, das zu sagen, was sie schon die ganze Zeit hatte sagen wollen. Miro lächelte leicht, als er ihr Kinn leicht anhob und ihre Lippen zu Jeannes ersten schönsten Kuss ihres Lebens verschloss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)