Schwarze Wolken von --Shiranui-- ================================================================================ Kapitel 6: St. Helen -------------------- Wolken türmten sich mächtig, Die Blätter waren verdorrt. Es war Oktober und nächtig An einem unseligen Ort. Edgar Allan Poe (Ulalume; Strophe 10) "Wie macht er sich?" Schwester Garett schüttelte den Kopf, nachdem sie einen kurzen Blick durch die Plexiglasscheibe geworfen hatte und ein Aktenblatt an sich drückte. Doktor William Spark stand vor ihr, rückte seine Brille zurecht und betrachtete die Schwester von oben bis unten. Sie war hübsch, mehr noch als hübsch. Sie war dermaßen hübsch, dass Doktor Spark im Umkleideraum mehr als einmal das Problem gehabt hatte seine Latte zu verbergen, bevor er zur Arbeit schritt. Ihr Anblick verfolgte ihn Tag und Nacht. Ihre schwarzen Haare, und ihr schmaler Mund, die vollen Brüste und der Hintern erst... Dazu war sie auch noch jung, knappe 30 Jahre war Schwester Julia Garett alt und seit fast 10 Jahren war sie ihm unterstellt als Krankenschwester. Sie sah nach den Patienten, verabreichte ihnen Medikamente und erledigte auch sonstige Aufgaben, die gerade so anfielen. Doktor Spark, seinerseits Chefarzt im Sanatorium St. Helen, war mit seinen 63 Jahren bald am Rentenalter angekommen und sah sich nach einem passenden Nachfolger um, aber der Gedanke seine Heilanstalt irgendwann nicht mehr zu leiten und womöglich sogar irgendwann selber in dieser zu landen schmerzte ihn. Vor allem schmerzte es ihn, wenn er die Krankenschwester sah, mit der er zu gerne einmal diverse Doktorspielchen treiben würde. William Spark hatte noch nie Glück in der Liebe gehabt; dreimal war er bereits verheiratet gewesen, dreimal hatte er eine Scheidung hinter sich und dreimal war diese Scheidung von seiner damaligen Ehefrau ausgegangen. Er wusste nicht woran es lag; vielleicht an seinem Beruf, vielleicht war er bereits so verrückt wie all seine Patienten? Das einzige was feststand war, dass er sein gesamtes Leben, oder zumindest fast sein gesamtes Leben, in dieser Anstalt verbracht hatte und er war froh, dass er sich zu diesem Zeitpunkt immer noch als normal bezeichnen konnte - so seine eigene Meinung. Er fuhr sich einmal durch seine letzten, grauen Haarsträhnen, die sich auf einem Kopf befanden - mittlerweile konnte man ja nicht einmal mehr von einer Halbglatze reden - und zeigte nicht die geringste Regung, als aus irgendeinem Gang des Sanatorium ein schriller Schrei ertönte, schließlich war es nichts besonderes mehr, wenn jemand schrie. Genauso wenig war es außergewöhnlich, wenn auf einmal jemand an ihm vorbei rannte und aus vollem Hals "Ihr verhurten Schweineficker!" rief. Das war alles normal, daran hatte man sich gewöhnt, in all den Jahren. Man gewöhnte sich auch irgendwann an den ständigen Geruch von Fäkalien. Irgendwer verrichtete immer mal sein Geschäft an irgendeiner Ecke, in irgendeinem Gang. Teilweise taten Patienten es aus Trotz, teilweise konnten sie nicht anders und hatten sich bereits angeschissen, angekotzt oder angepisst, ehe sie bemerkt hatten, dass sie überhaupt auf Toilette mussten. "Er schläft, wie eigentlich immer..." sagte die Schwester leise, als ob sie Angst hatte, dass lautes Sprechen den Patienten wecken könnte und dies eine Art Weltuntergang bewirken würde. Julia Garett hatte sich selbst heute noch, seit 10 Jahren Dienst in St. Helen, noch nicht wirklich an das gesamte Geschehen gewöhnt. Manchmal waren ihr die Situationen, die sich in den Gängen abspielten sogar dermaßen zuwider, dass diese sie noch bis in den Schlaf verfolgten. Sie war nur eine Schwester, sie verabreichte Medikamente und dergleichen und sie musste sich auch nicht mit schweren Fällen beschäftigen, aber es reichte voll und ganz, wenn auf einmal wieder ein Schrei aus einem Raum oder Gang ertönte, dass sie sich fast zu Tode erschreckte. Manchmal hatte sie sich bereits überlegt diesen Job an den Nagel zu hängen, aber andererseits gab es auch viele Patienten die auf ihre eigene hirnrissige Art und Weise liebenswert waren; ja, die sie sogar als Freunde bezeichnen konnte. Aber allein diese gierigen Blicke des Chefarztes, dieses Doktor Sparks, die veranlassten sie immer und immer wieder dazu ihre Kündigung in Gedanken zu durchlaufen. Aber je öfter sie darüber nachdachte, desto häufiger fand sie neue Pro-, und Kontrapunkte, die ihren Entschluss schwanken ließen. William Spark ging an ihr vorbei und sah selber durch die Fensterscheibe, die ihm einen Blick in die Zelle des Patienten gewährten. Der Insasse war ein Dauerpatient, bereits seit acht Jahren befand er sich in psychiatrischer Behandlung. aber erst seit kurzem befand er sich in diesem komatösen Zustand. Jason Biggs, so der Name des knapp 40 jährigen Mannes der sich ans Bett gefesselt, unfähig sich zu bewegen wenn er denn wach werden sollte und separat in dieser Zelle befand, kam in das St. Helen durch eine juristische Entscheidung. Der Gerichtspsychologe hatte auf Schizophrenie tendiert, war sich aber nicht sicher und das war wirklich ein Sonderfall, denn wenn ein Psychologe sich nicht sicher war, dann hieß das nicht wirklich etwas Gutes; zumindest hatten die Geschworenen dies gesagt. Jason Biggs hatte seine Familie, schwangere Ehefrau und Tochter, ermordet. Er konnte gefasst werden, als er sich auf den Weg in sein Elternhaus gemacht hatte um dort seine Mutter mit einem Küchenmesser zu erstechen. Die Gründe für dieses Verhalten waren bis auf weiteres ungeklärt. Das einzige was über sein früheres Leben bekannt gewesen war, war die Tatsache, dass er im Alter von acht Jahren seinen einzigen Bruder verloren hatte. Die Anwälte und die Beweislage hatten aber ergeben, dass Jason damit nichts zu tun gehabt hatte; es war ein Unfall gewesen. Auch wenn dieser Unfall doch merkwürdig gewesen war; laut den Recherchen waren Jason und sein jüngerer Bruder am Spielen gewesen, als dieser von einem Raben attackiert wurde und unter enormen Blutverlust noch an Ort und Stelle verstorben war. "Möglicherweise findet sich dort eine Antwort auf seine Psychose." hatte der zu verteidigende Anwalt zu Doktor Spark gesagt, als Jason eingewiesen worden war. Es hatte ihn auch eine Menge Arbeit gekostet die Todesstrafe abzuwenden. Nur mit Hilfe des Gerichtspsychologen und schlagenden Argumenten (dazu hatte auch das des verstorbenen Bruders gezählt) war entschieden worden, dass Jason Biggs in eine geschlossene Anstalt eingewiesen werden sollte. Bis vor kurzem war Jason nicht sonderlich von all den anderen Patienten des St. Helen zu unterscheiden gewesen; jeder hatte so seine Macken gehabt und hatte sie auch weiterhin. Manche hatten mehrmals am Tag einen seelischen Zusammenbruch, der sich dadurch äußerte, dass sie laut anfingen zu schreien, oder in Tränen aufgelöst sich in eine Ecke der Anstalt verkrochen. Andere waren den ganzen Tag draußen und selbst wenn mal wieder ein Hurrikan über das Land zog, trieb es sie immer wieder nach draußen, sodass die Aufseher alle Hände voll zu tun hatten sie zurück zu halten. Andere waren der Ansicht, dass sie wieder geborene, wichtige, Persönlichkeiten aus der Weltgeschichte seien und wieder andere, so wie Jason Biggs, hielten sich aus all dem Geschehen heraus, weil sie davon scheinbar nichts mitbekamen und einfach nur apathisch in den Gängen standen, oder durch die Gänge schlurften. Dann aber, irgendwann und ganz unerwartet war er wieder da gewesen; der Jason, der bereits einige Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Der Jason Biggs, der seine Chance nutzte und seinen Blutrausch an der nächstbesten Krankenschwester ausleben wollte. Die nächstbeste Schwester war in diesem Fall Julia Garett gewesen. Es war ihr Glück , dass sich einige der Pfleger in unmittelbarer Nähe aufgehalten hatten und sofort einschreiten konnten. Nur wenige Minuten später hatte Jason sich in einer Zelle befunden und war an ein Bett geschnürt worden. Noch eine ganze Weile hatte Jason aus vollem Hals alles zusammen gebrüllt und Julia Garett war sich ziemlich sicher dass sie gesehen hatte, wie sich Schaum vor Jasons Mund gebildet hatte. Als es irgendwann wieder ruhig geworden war und die anderen Patienten auch wieder soweit beruhigt hatten, war Schwester Garett zu der Einzelzelle gegangen, genau die, wo sie momentan vor stand. Biggs war ruhig, hatte geschlafen wie ein Baby und durch die Plexiglasscheibe konnte die Schwester auch keinen Schaum an den Mundwinkeln des Patienten ausmachen; vielleicht war ja schon jemand da gewesen und hatte ihn entfernt? Nervös hatte Julia Garett noch Tage nach diesem Vorfall ihre Haut nach Bisswunden abgesucht, und sei es noch so ein kleiner Kratzer, denn sie hatte weiß Gott keine Lust sich mit irgendeiner Krankheit zu infizieren. Aber nirgendwo hatte sie einen Kratzer gefunden, was an sich schon ein Wunder gewesen war, denn Biggs hatte um sich geschlagen und getreten, wie... ein Irrer. Schwester Garett musste etwas schmunzeln, als ihr der Wortwitz klar wurde und Dr. Spark sah die Schwester fragend an. "Stimmt irgendetwas nicht, Schwester?" "Nein Doktor, alles in Ordnung. Sowohl bei mir, als auch bei unserem Dauerpatienten." gab sie zuversichtlich von sich und nickte bekräftigend. Für einen Moment war sie in Gedanken versunken und das war eine Tätigkeit, die ihr hier das leben kosten könnte, auch wenn die meisten der hier anwesenden Insassen eigentlich eher liebenswerte Verrückte waren und die wirklich schweren Fälle sich bereits seit Einlieferung in einer Zelle befanden. Aber der Schein war trügerisch, Jason Biggs war das beste Beispiel dafür gewesen. Wie dem auch sei, jetzt war wieder alles normal. So normal, wie es nun mal in einem Sanatorium sein konnte. Dr. Spark konnte seinen Blick nur schwer von der Schwester abwenden, aber er hatte auch andere Aufgaben in dieser Nervenheilanstalt zu erledigen als den wesentlich jüngeren Frauen hinterher zu gaffen und so nickte er Schwester Garett nur einmal zu, ehe er sich dann knapp verabschiedete und den Gang entlang ging um weitere Kontrollgänge zu veranstalten. Julia Garett war sichtlich erleichtert darüber, als der alte Sack sich endlich aus dem Staub machte. Noch einmal warf sie einen Blick durch die Glasscheibe und schreckte zurück, als sie sah, wie Jason Biggs ihr mit einem mehr als beängstigenden Grinsen auf den Lippen langsam zuwinkte. Falscher Alarm, Schwester. Ich krieg dich früher oder später, denn ich bin nur ein armer Irrer, der bei geringfügiger Besserung des Zustands diese Zelle wieder verlassen darf. Schließlich war dieser kleine Ausfall, neulich, nur die Ausnahme, welche die Regel bestätigt... Schwester Garett schickte sich an, Dr. Spark zurück zu rufen und ihm von dieser angst einflößenden Geste, die ganz und gar nicht Irre wirkte, Bericht zu erstatten. Sie hatte bereits den Kopf wieder in die Richtung des Chefarztes gedreht um ihm hinterher zu rufen, aber wie von Geisterhand geführt wandte sich ihr Blick erneut zu der Zelle und die junge Frau musste feststellen, dass Biggs wie gewohnt, schlafend und regelrecht festgenagelt auf seinem Bett lag. Julia Garett atmete erleichtert auf. Wie konnte sie nur auf die dumme Idee kommen, dass sich dieser Mann von seinen Fesseln hatte lösen können? Als ob sie sicher gehen wollte, dass ihre Sinne ihr nicht doch noch eine Streich spielen wollten, drückte sie fast schon ihre Nase gegen die Scheibe, als sie einen dritten und letzten Blick in die Zelle warf. "Nichts ungewöhnliches, nein wirklich nicht...", sprach sie zu sich selber und wurde von dem langsam vorbeischreitetenden Patienten nicht im geringsten beachtet. So drehte sie sich weg und wollte jetzt erst einmal nichts mehr von diesem Jason Biggs wissen. Sie wusste nicht warum, aber ihr war dieser Mann unheimlich, wobei sie dieses Gefühl nun doch verstärkt hatte, wo sie für einen kurzen Moment diese Wahnvorstellung gehabt hatte. War das normal? Führte die Arbeit in einem Sanatorium unweigerlich dazu, dass man selber irre wurde? Der Gedanke behagte Julia Garett nicht im Geringsten und sie redete sich ein, dass es einfach daran lag, dass sie in den letzten Nächten einfach nicht wirklich hatte schlafen können. aber warum konnte sie nicht schlafen? "Hör auf damit, July..." sagte sie, wohl wissend dass ihr niemand zuhören würde, und wenn dem doch so war, würde niemand drauf reagieren. schließlich war sie nicht die einzige hier, die Selbstgespräche führte. Während sie durch den langen Gang ging und das klackende Geräusch ihrer Absätze vom Boden zu ihr hoch schallte, ging ihr aber diese - wenn auch nur eingebildete - Geste von Biggs einfach nicht aus dem Kopf und während sie in Gedanken versunken war blieb sie vor einem Fenster stehen, von wo sie in die Baumkrone einer alten Birke sehen konnte, dessen Blätter sich bereits in ein goldenes Gelb verfärbt hatten. "Hallo Joker." gab sie freundlich von sich, als sie den Raben zwischen den einzelnen Ästen ausmachen konnte, der dort schon am herumstolzieren war, seitdem sie ihre Arbeit im St. Helen verrichtete. Im laufe der Zeit hatte sie ihm den Namen gegeben, nachdem sie festgestellt hatte, dass es sich immer um den selben Vogel handelte, der ihr gelegentlich mit einem kratzigen Krächzen antwortete. Heute antwortete er aber nicht, sondern sah sie einfach mit aus seinen pechschwarzen Augen an, ehe er mit knappen Flügelschlägen von dannen flatterte. Fast zur selben Zeit war Freddie mit Bobby und mit Sarah wieder in ihrem Zuhause angekommen. Alles wirkte wie vorher, aber dennoch konnte man es nicht verleugnen, dass Shays Anwesenheit fehlte. Hatte Shay auch unter der Leere in dem Haus gelitten, als sie, Freddie und die Kinder, ausgerissen waren? Ja, das hatte er. Freddie war sich da sehr sicher, schließlich kannte sie ihn schon viel zulange, als dass man ihr erzählen könnte, dass er gelassen über eine Trennung hinweg sah. einerseits ging er ihr immer wieder fremd und andererseits brach für ihn eine Welt zusammen, wenn Freddie mal nicht da war und die Stille so laut zu werden schien, dass man sich im wahrsten Sinne des Wortes nur noch die Ohren zuhalten konnte, um dem Nichts zu entgehen. Schizophren; ja, das war ihr Mann. Sie war noch nie auf die Idee gekommen ihn vielleicht zu einem Psychologen zu schicken, geschweige denn, dass Freddie diese Bezeichnung, oder aber Shays Geisteszustand, als gefährlich eingestuft hätte. - "Künstler sind nun mal Verrückte und Salvator Dalí war einer der schlimmsten." "Einer der schlimmsten Verrückten, oder der schlimmsten Künstler?" "Das ist relativ, denn Künstler sein ist genau so schlimm, wie verrückt sein." - "Mummy! wo ist Daddy?", riss Sarah ihre Mutter aus den vergangenen Erinnerungen zurück in die Wirklichkeit. Jetzt war es also soweit: Was sollte sie Sarah denn sagen? Freddie war weiß Gott keine gute Lügnerin, weil sie einfach so gut wie immer die Wahrheit sagte, weil sie kein Blatt vor dem Mund nahm. "Tja, Sarah. Dein Daddy war leider zu dumm um Auto zu fahren und wird jetzt wahrscheinlich bald sterben, weil man ihm im Krankenhaus auch nicht mehr helfen kann. Dein Daddy ist nun mal ein verrückter Künstler gewesen. Früher oder später musste es ja mal passieren.", sprach Freddie in Gedanken und sah vor ihrem geistigen Auge, wie Sarah sie erst ungläubig ansehen würde und dann eine ganze Weile nicht mehr mit ihr reden würde. Vielleicht sogar nie mehr mehr. Man konnte einem kleinen Kind doch nicht so eine Geschichte aufbinden, auch wenn es die Wahrheit war. Das war genau das selbe wenn man seinem Kind bereits in diesem Alter erzählen würde dass es den Weihnachtsmann nicht gab, auch wenn es die Wahrheit war. "Der Weihnachtsmann ist nichts weiter als eine Werbefigur. Coca-Cola hat sich den dicken Mann mit der Schnapsnase nur ausgedacht um uns Eltern zu Weihnachten das Geld aus den Taschen zu ziehen, damit ihre Kinder einem weiteren Hirngespinst nachjagen können, welches ihnen jedes Jahr viele Geschenke beschert." Freddie starrte Sarah eine ganze Weile schweigend an und Sarah sah genauso schweigend, aber mit einem mehr als fragendem Blick zu ihr zurück. "Daddy musste noch einmal nach New York, etwas erledigen, Kleines.", kam es dann von Freddies Lippen und es war einfacher als erwartet gewesen die eigene Tochter anzulügen. Noch einfacher schien es sogar noch gewesen zu sein, Sarah ein zwinkerndes Grinsen zu schenken, was soviel sagte wie: "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Baby. Daddy ist wieder da, wenn du morgen aus dem Kindergarten zurück bist." Es war so einfach das eigene Kind zu belügen, und noch einfach sich selber zu belügen. Freddie ertappte sich nämlich dabei, wie sie selber an ihre eigenen Worte glaubte. Morgen würde Shay wieder vor der Tür stehen, mit dem schelmischen Grinsen auf den Lippen, als ob nie etwas passiert wäre. Und Freddie würde ihm für diesen Gesichtsausdruck hassen; sie würde ihn so sehr hassen, dass das Willkommensgeschenk zurück zu hause kein Kuss sein würde, sondern eine Ohrfeige. "Ach so!", kam es von Sarah, "Ich geh mit Feiver spielen!" Und schon stand Freddie alleine da, nachdem Sarah in ihr Zimmer gerannt war. Nur Bobby war noch da, an eine Wand gelehnt und seine Mutter mit einem wissenden Blick fixierend. Freddie bemerkte ihn erst jetzt und sie tat sich schwer daran, den Gedanken auszuführen, dass dieser Blick des Jungen unheimlich wirkte. Bobby sah aus, als ob er genau wusste, dass es nicht stimmte was seine Mutter seiner Schwester da gerade erzählt hatte. Aber er sagte nichts; wortlos drehte er sich von Freddie weg und tat es Sarah nach: Er ging in sein Zimmer. Jetzt war Freddie alleine. Um drei Uhr morgens, als es draußen noch lange nicht den Anschein machte, dass es irgendwann in den nächsten Stunden wieder Tag werden würde, klingelte das Telefon im Haus der Familie Brown. Bring-Bring! Freddie saß sofort kerzengerade im Bett und sah sich panisch um. Er war tot! Shay war tot, genauso wie sie es Sarah noch gesagt hatte. Oder besser: Genauso wie Freddie sich Vorgestellt hatte, es Sarah erzählt zu haben. Wie ein Fluch hatte sie dieser Gedankengang verfolgt. So war Freddie erst vor etwa einer Stunde eingeschlafen und das, obwohl sie schon um neun Uhr abends im Bett gelegen hatte. Aber anstatt einzuschlafen hatte sie sich lediglich von einer Schulter, auf die andere gedreht. Das Bett war nun mal nicht so einladend, wenn man alleine auf ihm schlief. Vor allem dann nicht, wenn es sich um ein Ehebett handelte. erschwerend kam hinzu, dass Freddie immer wieder in die Vorstellung verfiel, dass Shay gar nicht weg war, sondern neben ihr lag. Sobald sie die Augen geschlossen hatte, konnte sie sein langsames und regelmäßiges Atmen hören, so als ob er einfach neben ihr liegen würde, wie es normal gewesen wäre. Wenn sie die Augen wieder geöffnet hatte und sie mit dem Gesicht in seine Richtung lag, dann musste sie erschrocken feststellen, dass da wirklich Shay neben ihr im Bett lag und friedlich schlief. Diese Illusion hielt sich aber nur wenige Sekunden aufrecht, danach verschwand sein Bild vor ihren Augen wie eine Fatamorgana in der Wüste Gobi. Und nun, wo sie endlich eingeschlafen war, sich endlich aus den Fängen des Dämmerschlafs entrissen hatte und in den Tiefschlaf hinab geglitten war, da musste das Telefon klingeln. Sämtliche Alarmglocken schellten mit dem Telefon. Schlechtes Omen! Geh nicht dran! Aber wenn sie nicht ans Telefon gehen würde, wären die Kinder auch gleich wach. so was ging immer schneller, als man es erwartete. So sprang Freddie regelrecht aus dem Bett, in ihrem Pyjama gekleidet und hastete zum Telefon. Dieses klingelte unablässig weiter - was für ein schrecklicher Klingelton. Gleich morgen werde ich ihn ändern! -. Mit jedem Schritt, den Freddie dem Apparat näher kam, wurde das Geräusch unerträglicher. und dann, als sie fast im Arbeitszimmer war, da hörte es abrupt auf und die erneute Stille in dem Haus wirkte wieder so drückend, wie vor einigen Stunden, als sie angekommen waren. Freddies Herz schlug ihr bis zum Hals und auch wenn die Strecke, die sie vom Schlafzimmer bis zum Arbeitszimmer zurückgelegt hatte weniger als fünf Sekunden gedauert hatte, so hatte sie das Gefühl, als hätte sie an einem Marathon teilgenommen. Fast schon, als wünschte sie, dass das Telefon noch einmal klingelte, starrte sie in die Dunkelheit, wo das grüne Licht des Anrufbeantworters blinkte. Hatte jemand drauf gesprochen? Mit langsamen Schritten ging sie zum Telefon, hob den Hörer ab, obwohl sie sich sicher sein konnte, dass niemand mehr auf der anderen Leitung war und gab ein atemloses "Hallo?" von sich. "Mummy...?" Erschrocken ließ sie den Hörer fallen. Das war Bobbys Stimme gewesen! "Mummy, was machst du hier...?" Ruckartig drehte Freddie ihren Kopf zur Seite und Blickte in das verschlafene Gesicht ihres Sohnes. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Warum sollte es auch Bobby gewesen sein, der mitten in der Nacht auf das Haustelefon anrief, wo er doch in seinem Bett liegen sollte? "Nichts, Schätzchen. Das Telefon hat geklingelt. Warum bist du nicht im Bett?" Auf die Frage hin resultierte lediglich ein verständnisloser Blick von Bobby. "Das Telefon hat nicht geklingelt, Mummy." Freddie wusste nicht wieso, sie hätte das gesamte Geschehen auf die blank liegenden Nerven schieben können, aber die Tatsache, dass Bobby sagte das Telefon habe gar nicht geklingelt, jagte Freddie einen Schauer über den Rücken. sie hatte es doch laut und deutlich gehört?! Es war doch auch immer lauter geworden, je näher sie dem Arbeitszimmer gekommen war!? "Aber wenn das Telefon nicht geklingelt hat, warum bist du denn dann hier unten, Bobby? du sollst doch schlafen!" "Ich habe Lärm gehört und wollte wissen ob irgendetwas passiert ist. Aber als ich hier unten war, da standest nur du hier." Freddie schwieg eine ganze Weile. Irgendwas war nicht richtig...? "Du redest ja wieder, Bobby?!" "Ich habe doch immer geredet, Mummy, du hast mich nur nie gehört." BRING! BRING-BRING! wieder das Telefon und diesmal so laut, dass Freddie erschrocken aufzuckte. BRING-BRING-BRING! "Wer ruft denn so spät in der Nacht noch an....?" nuschelte Freddie und richtete sich langsam vom Bett auf. Wenige Sekunden später hatte sie den Hörer in der Hand, so wie in ihrem Traum, von gerade eben. "Fredrike Brown am Apparat..." "Mrs. Brown? Hier spricht Doktor Jason Smith. Ihr Mann ist soeben wieder zu Bewusstsein gekommen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)